RODIN
scheisszeitenwende 94
Sie möchte kurz verschnaufen, bevor sie ins Museum gehen. Das kommt Hans Krohn grad recht. Er holt das Handy aus der Jacke und erklärt, er habe da mal was vorbereitet.
Aha?
Clara findet die nächste Bank, auf der sie rasten können. Sie lächelt über die Japaner, die vor lauter Sich-selbst-Fotografieren vergessen, in welchem Erdteil sie gerade reisen.
„Hier isses“, sagt Hans und liest vor.
„Durch mich geht es zur Stadt der Leiden,
Durch mich geht es zum ewigen Schmerz ,
Durch mich geht es zu den verlorenen Menschen.
Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!
Die ihr hereinkommt: Lasst alle Hoffnung fahren!“
Und dann zum Schluss.
Wir stiegen aufwärts,
Bis ich durch ein rundes Loch die schönen Dinge sah,
Die der Himmel trägt.
E quindi uscimmo a riveder le stelle.
Dann traten wir hinaus und sahen die Sterne wieder.“
„Muss ich jetzt was wissen?“
„Das ist Dante. Inferno. Ohne den Dante hätte es das nicht gegeben.“
Er zeigt auf zur Fassade des Kunsthauses.
„Ach, verstehe. Das Höllentor.“
„Jawoll. Darf ich vorstellen? Höllentor. Sieben Meter hoch. Lebenswerk. 186 Figuren aus dem Inferno von Dante. Höllentor. Rodin. Ist das nicht großartig?“
Ja, sagt sie. Manchmal, wenn sie in Zürich ist und das Museum besuchen will, schafft sie es gar nicht in die Hallen.
„Dann bleibe ich vor dem Höllentor stehen unmd staune. Und entdecke wieder etwas Neues.“
Zum Beispiel?
Sie nimmt ihn an der Hand und führt ihn vor „Die Kauernde“.
Die hat Hans noch nie so recht wahrgenommen. „Du hast Recht.“
„Womit habe ich Recht?“
„Wir gehen nicht ins Museum.“
„Nicht?“
„Nein.
Zuerst kaufe ich uns drüben am Kiosk ein Sandwich.“
„Und ein Bier, bitte.“
„Und ein Bier.“
„Ja, und ein Bier.“
„Und dann können wir übers Leben nachdenken.“
„Und wenn wir fertig sind mit Nachdenken?“
„Dann schmeißen wir die Dosen und das Sandwich-Papier in den Abfall.“
„Und dann?“
„Wie bitte? Achso. Nicht, was Du denkst.“
„Schade.“
„Lass Dich überraschen.“
„Will keine Überraschung. Will. Wissen. Jetzt.“
„Na gut:
Dann besuchen wir Yves.“
„Wer ist Yves?“
„Toller Typ. Er wird sich freuen. Wenn er noch lebt.“

