PUTTANA!
Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.
Wortlos lässt sich Sabrina auf den Beifahrersitz sinken. Hans Krohn sieht sie an, sie schaut durchs Seitenfenster aufs Trottoir, wo sich nichts Nennenswertes tut. Die Handtasche hat sie in den Schoß gedrückt und umklammert sie mit den Händen, als habe sie Angst drum, die Knöchel sind schon ganz hell. Krohn sucht Kontakt, aber sie will nicht.
Er startet den Motor, rangiert aus der Parklücke und ordnet sich in den Verkehr ein. „Nach Hause?“ fragt er, „Bitte“ sagt sie, er fährt auf den Mittleren Ring. Stau.
Sie redet nicht. Krohn versucht sich aufs Radio zu konzentrieren.
Langsam arbeiten sie sich aus der Stadt. Als sie das Gröbste hinter sich haben, seufzt sie. Die Wörter machen ihr Mühe.
„War das eine Scheiße!“
„Willst Du erzählen?“
„Später. Schatz, das ist nichts gegen Dich. Ich muss erstmal wieder zu mir kommen. So eine puttana! sgualdrina! troia! donnaccia! bagascia! meretrice! baldracca! battona! ciabatta!
Er muss sie stoppen. Sabrina ist eine Meisterin der Schimpfrede. Wenn sie sich erst einmal warm geflucht hat, hört sie nicht mehr auf.
„Magst Du nicht der Reihe nach erzählen. Ich verstehe Dich sonst nicht.“
Okay. Sie berichtet. Von einer Ärztin, die keine Ahnung und den Beruf verfehlt hat. Von einem Treffen, bei dem die Fetzen geflogen sind. Von vielen Tränen, einer großen Wut und einem heroischen Kampf.
„Ich habe gewonnen, den Kampf. Aber es war hart, ich kann Dir sagen, es ist um Leben und Tod gegangen.“
Bitte, Sabrina…
Okay, okay, der Reihe nach.
Sie ist aufgerufen worden, diese Schnepfe hat sie begrüßt.
Weißer Arztkittel.
Das dunkle Haar zum Zopf gebündelt.
Bisschen Makeup, half aber nichts, bei dieser müden Haut.
Gute Zähne, matte Augen.
Sportliche Figur, scheußlich schlaffer Händedruck.
Die Frau Doktor – immerhin schon im Rang einer Oberärztin – ging voraus in ein kerkergroßes Besprechungszimmer ohne Fenster, schloss die Tür, es roch ungut nach einer anderen Frau, ein karger kleiner Tisch, zwei sehr gebrauchte Stühle, auf dem Tisch Unterlagen.
„Na, dann sehen wir mal“, sagte die Frau Doktor und blätterte in den Unterlagen. „Wir haben Ihren Fall erst vorgestern noch einmal in der Tumorkonferenz besprochen. Wir werden mit der Chemotherapie sobald wie möglich beginnen.“
Wie bitte? Chemotherapie? Davon war noch nie die Rede gewesen. Der Herr Professor hatte vor der Operation gemeint, der Tumor sei so klein, da werde man ohne Chemo auskommen.
„Das haben wir anders besprochen. Ihre Werte sind so, dass wir eine Chemotherapie für unabdingbar erachten.“
Die Ärztin schaute über die Brille und ließ Sabrina spüren, nun sei genug geredet. Sie solle nicht mehr die Zeit anderer Leute vergeuden, man müsse sich nur noch über die Daten für die Chemotherapie einig werden.
„Ich mache da nicht mit“, sagte Sabrina, konnte aber nicht verhindern, dass ihr dabei Tränen über die Wangen liefen.
„Ich fürchte, Sie haben keine Wahl.“
„Hören Sie mir nicht zu? Ich habe Ihnen doch erzählt, dass der Herr Professor vor der Operation gesagt hat, eine Chemo sei nicht nötig. Strahlen und Hormone, das ja, aber…“
„Was ich Ihnen anbieten kann, ist ein Test, der aus den USA kommt. Da wird ermittelt, ob eine Chemotherapie notwendig ist. Nicht ganz billig. Kostet 3000 Euro.“
„Aber was ist das, was Sie mir da erzählen? Den Test hat mir ein Kollege vor drei Wochen vorgeschlagen, da redete er noch von 4000 Euro. Was soll das, ich bitte Sie! Abgesehen davon – ich kann mir das nicht leisten.“
„Naja, um auf die Chemotherapie zurückzukommen: Sie könnten schon nächste Woche damit anfangen…“
Sabrina erzählt, zu diesem Zeitpunkt sei sie völlig aufgelöst gewesen. Nass geheult. Hilflos. Furchtbar wütend, an den Hals hätte sie der Schickse gehen können.
„Da hat die dann den Professor geholt. Der hat mich gesehen. Ach, die italienische Künstlerin, hat er gesagt, was denn mit mir los ist. Ich habe ihm von der Chemo und allem erzählt.“
Er werde sich das noch einmal ansehen.
Der Professor – ein weißhaariger Sportwagenfahrer mit Schlag bei allen Frauen – überflog die Papiere. Es habe sich nichts geändert, meinte er.
„Sie brauchen keine Chemo. Wenn Sie meine Frau wären, würde ich Ihnen auch abraten. Wir machen das wie besprochen.“
Weg war er.
Verkniffen füllte die Ärztin die Formulare aus.
Sabrina sieht aus dem Wagen, der an Rapsfeldern vorbei rauscht.
„Es war wie ein Krieg.“
Nana, beschwichtigt Krohn.
„Ach Du! Du hättest den Schwanz eingekniffen. Aber nicht mit mir. Na gut, es war nicht wie ein Krieg, es war ein Kampf. Halte mal da vorn beim Supermarkt. Ich kaufe mir jetzt Wein. Brauchst Du was? Schokolade? Zeitungen?“
Nein, sagt Krohn und parkt vor dem Edeka. Sabrina stapft zornig ins Geschäft. Kommt zurück, mit praller Tüte – und dem Gesicht einer siegreichen Amazone.
Er versteht sie. Soll sie sich die Kante geben, er wird auf sie aufpassen. Ehrensache.
Nur das mit dem „Schwanz einkneifen“ hätte sie nicht sagen müssen.
War nicht nett.
Besonders zur Zeit nicht. Wo man sich so durch die Zeiten kathetert.