MODIGLIANI
scheisszeitenwende 113
„Ist das gut?“
Was sollen sie da sagen?
Klara schaut auf den Boden und schweigt. Hans räuspert sich. Er weiß, dass Yves sich immer ungerührt und hart gibt. Aber er ist ein feinnerviger Mann, der jeden falschen Ton hört. Und ein Verletzlicher, der eine Kränkung nie zugibt.
Yves nimmt sich die Welt zu Herzen.
„Ist das gut, was ich da schreibe?“
„Gibt es noch mehr als das, was Du uns vorgelesen hast?“
„Sicher. Ich schreibe das nicht neu. Ich arbeite die Versuche der letzten 20 Jahre auf.“
„Harter Stoff, Yves.“
„Wie meinst Du? Harter Stoff?“
„Zweifel. Drogen. Alkohol. Erfolglosigkeit. Krankheit und Irre-Werden. Selbstmord. Das ist harter Stoff.“
Yves lächelt. „Dann bin ich auf dem richtigen Weg.“
„Warum.“
„Ich will, dass Ihr so ein Gefühl habt.“
„Weil?“
„Weil es nur auf den ersten Blick schlimm scheint.“
„Verstehe ich nicht. Krankheit ist schlimm, Selbstmord ist nichts Schönes.“
„Aber worum geht es wirklich?“
„Es geht doch um Vergänglichkeit. Amedeo Modigliani ist so umgetrieben worden, dass er sich nur noch in die Sauferei retten konnte. Er hat so lange seinen Körper zerrüttet, bis er jämmerlich gestorben ist. Und weil es ihn zerrissen hat, ist seine Frau – im achten Monat schwanger – aus dem Fenster gesprungen. Tot und tot. Das ist die Geschichte. Ist die vielleicht schön?“
„Was Du erzählst, stimmt alles. Aber das ist doch nicht die richtige Geschichte. Das Thema, das ich erzähle, ist: Wie große Kunst aus tiefem Leiden entsteht.“
Hans nickt. Dann:
„Warum tust Du Dir das an?“
„So überlebe ich. Ich schreibe es auf und entdecke dabei, dass es einen Sinn macht.“
Klara mischt sich ein. „Das verstehe ich nicht. Was macht Sinn für Dich?“
„Jeden Morgen den Laden aufsperren. Kunst verkaufen. Mich jeden Tag so betrinken, dass ich’s aushalte. Abends einen Grund haben, am nächsten Morgen wieder aufzustehen.“
Klara geht um den Tisch und umarmt den alten Mann.
„Du bist ein großartiger Mensch, weißt Du das?“
„Danke. De Hans isch au en patenter Maa. Wie lang blibet dir denn no i Züri? Wänn hät das mit euch aagfange? Wo gahts hi? Wänn chömet ihr wieder?“
Das sei alles ganz frisch, erklärt Hans. Man habe sich erst auf der Fahrt nach Zürich kennen gelernt. Und die Zeit laufe ab. Übermorgen fahre sie wieder zu ihrem Mann.
„Und Du?“
„Weiß nicht. Das ist echt harter Stoff.“
