MIGONNEY
scheisszeitenwende 112
Er lernte das Malen, so gut er konnte. Er brachte die Farben Mauretaniens nach Paris. Er war nah am Erfolg.
Er wollte und wollte und wollte.
Er wollte so sehr, dass es ihn krank und mürbe und verzweifelt machte.
Am 5. Juli 1925 schrieb der Maler Jules Migonney seinen letzten Satz – er war 49 und hatte allealle Kräfte aufgebraucht.
Der Satz war:
„J’ai tout sacrifié à l’art, il me tue.“
„Ich habe alles der Kunst geopfert, sie hat mich getötet.“
Dann brachte sich Migonney um.
1917 begegneten Jeanne Hébuterne und Amedeo Modigliani sich in Montparnasse. Sie war eine 19-jährige Schönheit mit dichtem, rotbraunem Haar, sie wollte aus ihrer bürgerlichen katholischen Familie ausbrechen und Malerin werden. Amedeo war ein Genie, 32 und völlig mittellos. Seine ehemalige Geliebte beschrieb ihn so: „Ein komplizierter Charakter. Ein Schwein und eine Perle. Traf ihn 1914 in einer Konditorei. Er sah häßlich, wild und gierig aus.“
Jeanne und Amedeo hatten keine Heizung, kaum zu essen, sie besoffen sich mit Fusel.
Sie waren Outlaws.
Eine Tochter. Flucht vor den Deutschen nach Nizza, Rückkehr nach Paris. Streit. Kunst. Saufen. Versöhnung. Amedeos Erfolg.
Er wurde krank und starb – gezeichnet von Alkohol, Rauschgift und seiner Tuberkulose – am 24. Januar mit 35 Jahren. Jeanne Hébuterne kehrte am Tag der Beerdigung ins Elternhaus zurück, die Eltern hatten die Beziehung immer missbilligt. Einen Tag nach dem Tod ihres Geliebten, in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1920 stürzte sie sich, 21 Jahre alt und mit dem zweiten Kind im achten Monat schwanger, aus dem fünften Stock des Hauses und war tot.
Lucien Jusseaume kam am 13. Januar 1861 in Paris zur Welt. Er war so sehr talentiert!
Studium an der École des beaux-arts. Jusseaume wurde ein begehrter Porträtmaler, er war eine Größe in Paris.
Impressionist. Realist. Landschaftsmaler. Meister von Licht und Schatten. Mitglied der Société des Artistes Français, einer der wichtigsten Künstlervereinigungen in Frankreich. Internationale Ausstellungen.
Mit 64 hatte er die Kunst und Paris und das Leben satt. Selbstmord am 12. März 1925 in der 17 rue Vicq-d’Azir.
Yves, der Händler, schiebt die Manuskriptseiten zusammen. Er trinkt, füllt nach, trinkt wieder und sieht seine Besucher an.
„Ist das gut?“
