KLEINHOLZ

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Krohn notiert, 1. August

Streit mit Sabrina. Eine Kleinigkeit. Im Garten habe ich es ihr nicht recht gemacht. ist keine Absicht gewesen. 

Ich sitze unterm Sonnenschirm und lese die Texte von Gassenhauern, die um 1900 auf dem Montmartre geträllert wurden. Es sind schräge Lieder von Liebe, Lust und hackdichten Huren – das macht Laune, alsofolglich bin ich harmlos-heiter.

 Sabrina baut sich vor mir auf.

 „Hast Du keine Augen im Kopf?“

 Wie bitte? frage ich.

 Was mir einfalle im Beet umzugraben, bevor ich mit ihr gesprochen hätte.

Achso, das. Ja, ich hätte schon mit ihr geredet – aber sie habe so fest geschlafen nach der Bestrahlung, da habe ich sie nicht wecken wollen.

 „Weißt Du, was Du da gemacht hast?“

 „Nein, aber ich vermute, Du wirst es mir jetzt sagen.“

 „Genau: Du hast alles umgegraben, was ich gestern gesät habe.“

Ich schweige.

 „Ich finde das scheiße.“

 Ja, sage ich. Das könne ich verstehen. Aber so schlimm sei es doch nun wieder nicht. Dann würde ich eben nach ihrer Anleitung noch einmal säen und hernach nichts umgraben. Versprochen.

„Das ist leicht: sich lustig machen. Das tust Du immer in solchen Situationen. Du ziehst die Dinge ins Lächerliche – und ich komme mir vor wie der Depp.“

„Nein, Sabrina, tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich meine, es ist doch nicht so schlimm, da müssen wir doch nicht unsere Lebenszeit für so einen blöden Streit dran geben.“

 „Das ist kein blöder Streit. Hier geht es ans Eingemachte. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht mehr miteinander umgehen wie früher. Wir sollten nachdenken, ob es das alles noch wert ist.“

Dann verschwindet sie im Haus. Türen schlagen. Wir sehen uns bis zum nächsten Morgen nicht mehr. Ich habe Magendrücken, sie sieht auch ganz grau aus, als ich sie zur Bestrahlung fahre.

Manchmal haben wir raue Zeiten. Das Kranksein hat uns mürbe gemacht. Sabrina wird jeden Abend von Schmerzen besucht, ihre Brust ist wund und heiß, ihre Angst unaussprechlich.

Selten die Tage, an denen sie die Kraft fürs Bildhauern aufbringt. Dann steht sie vor ihrer mater dolorosa und werkt sich müde. Aber es geht nicht voran. Die mater ist immer noch eckig und unweiblich, das Kind in ihrem Schoß ein hölzerner Klumpen. Übermenschlich groß scheint der Ahornklotz. Wie ein Gegner, an dem sich Sabrina abarbeiten wird – aber er wird sie besiegen.

Doch an den meisten Tagen rührt Sabrina das Werkzeug nicht an. Sie liest etwas und vergisst es wieder. Sie nimmt sich eine Mail vor, bleibt bei der Hälfte stecken und löscht das Geschriebene. Sie ist am Telefon zänkisch, sie sagt Vereinbarungen im letzten Augenblick ab. Wenn sie trinkt, dann ist sie dabei traurig. Der Fernsehapparat in ihrem Zimmer läuft die ganze Nacht, einschlafen kann sie trotz der Tabletten nur mühsam. Dafür ist sie tagsüber wie gerädert.

Sie kämpft. Und wie sie kämpft.

Wenn es zuviel, zuviel, zuviel, wenn es unerträglich ist, wenn sie vor lauter Angst nur noch Panik spürt – dann streitet sie.

Ich schaffe manchmal die Liebe. Finde den Satz, der den Zank zerplatzen lässt.

Da musst Du wie ein Schachspieler sein. Du planst die nächsten Antworten wie Figurenzüge. Wenn ich dies sage, was wird sie antworten, wohin wird das führen? Wie vermeide ich Ärgernis, besänftige Zorn, wie bekommen wir einen Frieden hin?

Es ist schön, wenn wir den Ausweg finden.

Manchmal bin ich aber auch zu mürbe. Gebe Contra. Gebe die falsche Antwort. Gebe nicht nach.

Dann wird es fürchterlich.

Wir beharken uns und fühlen uns schrecklich dabei. Ich kann mich nicht ausstehen, sie kann sich nicht leiden – wir wissen das vom Anderen und kriegen doch die Kurve nicht.

Dann sagt sie schon mal: „Ich glaube es ist besser, wenn wir uns trennen.“

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