IM CAFÉ

scheisszeitenwende 92

 

Sie sitzen an der runden Bar und reden miteinander, ohne sich anzusehen.

Das ist vergeudete Zeit, denkt er.

Gibt es hier keine Tische?, denkt sie.

Er nimmt den alten Mann neben sich wahr, der den „Blick“ studiert. Ob der heute nochmal mit wem redet?, denkt er.

Sie schaut der Kellnerin zu, die zur gleichen Zeiten an drei Orten ist, so flink ist die. Sie hat noch ein ganzes Leben vor sich, denkt sie.

Ein Stadtarbeiter, zerfurcht und zerrüttet, kommt von der Nachtschicht, schlingt ein Schoko-Croissant in sich hinein, stürzt einen Cappucino hinunter, wirft Münzen auf den Tresen. Der Mann ist gebrochen, ich weiß, wie sich das anfühlt, denkt er.

Tassen klappern, ein Teller birst, aus einem Radio kommen Geräusche, dann erzählt ein Moderator, dass es ein schöner Tag werden würde, ein paar Wolken vielleicht, die Regenschirme könnten daheim bleiben. Es ist kein schöner Tag, wir haben noch heute und morgen und dann nicht mehr, denkt sie.

Er fragt:

„Wie geht es Dir?“

„Ach!“, sagt sie.

„Was meinst Du?“

„Es ist so schön, dass wir uns getroffen haben.“

„Aber?“

„Es macht alles schwerer.“

„Was, alles?“

„Naja, Du weißt es eh. Alles halt.“

„Ja.“

Wasser rauscht aus einem Hahn. Eine Dampflanze zischt in der heißen Milch. Das Handy in der Tasche der eleganten, die „Neue Zürcher“ lesenden, Dame klingelt wie ein Telefon aus anderen Zeiten.

Clara und Hans schweigen. Sie suchen die Hand vom Anderen.

Er sagt:

„Ja, ich weiß, dass alles schwerer wird. Aber nicht jetzt. Jetzt ist unsere Zeit. Lass uns jetzt nicht traurig sein. Dafür haben wir später genug Zeit.“

Sie dreht sich auf ihrem Hocker in seine Richtung und lächelt.

„Du hast Recht. Du hast ja so Recht.“

Er hat sich auch gedreht. Sie sehen einander an.

Das muss man ausnutzen: Dass man sich anschauen kann.