HEUTE IM STADION
scheisszeitenwende 81
Max beendet die Abschrift der Polizeiprotokolle. Er ordnet sein Manuskript zu einem sauberen Stapel, den er im rechten Winkel an der linken Vorderseite der Tischplatte ablegt. Er schaltet den Computer aus und sortiert die Stifte in die Schublade.
Jetzt noch die Kerze löschen.
Für heute hat er genug getan.
Er steht auf, schiebt seinen Stuhl unter den Schreibtisch, schließt das Fenster. Befriedigt schaut sich Max um. Im Drucker liegt noch ein einzelnes Blatt, er nimmt es und verlässt das Büro.
Samstagnachmittag, es geht auf fünf zu. Max organisiert sich ein Bier, die Lesebrille und den Transistorradio. Vor dem Haus setzt er sich auf die Bank. Die Straßen im Ort sind still, von weither ist eine Kreissäge zu hören. Eine Nachbarin ist unterwegs und kräht einen Gruß über den Zaun. Max grummelt das Grüßgott zurück. Er sucht Bayern 1 und macht es sich bequem.
Heute ist letzter Spieltag in der Bundesliga. Da sind die Reporter noch nervöser als sonst – es geht um alles. Aufstieg. Abstieg. Tränen. Sektduschen. Schaltkonferenz der Wichtigkeiten.
Max liebt diese Nachmittage. Er hat schon vor dem Radiogerät gesessen, als er noch ein Bub war. „Heute im Stadion“ hieß die Sendung – und er hat sie nicht oft verpasst.
Als Kind saß er mit Freunden in der Stube vor der Musiktruhe.
Als junger Mann hatte er immer den Transistor dabei oder er fuhr zum Petting in die Kiesgrube, dabei lief „Heute Im Stadion“.
Später war er ab und zu bei Bayern-Heimspielen – ansonsten wusch er während „Heute im Stadion“ das Auto – wenn sie sich ruhig verhielten, durften die Kinder dabei sein.
Als die Frau ihren langen Tod starb, besuchte er sie in den letzten Wochen samstags um drei im Krankenhaus. Die Zweite Halbzeit hörte er „Heute im Stadion“ auf der Heimfahrt und trank dazu Bier aus der Dose.
Nachdem sie gestorben war, lief die Fußballsendung in greller Lautstärke, während sich Max mit der Weinflasche unterhielt.
Und jetzt sitzt er auf der Bank und spürt die Wärme der Abendsonne. Schön, denkt er, alles ist anders als früher. Nur „Heute im Stadion“ ist geblieben. Naja, das ist dann wohl recht so.
Bayern wird mit Abstand Meister, Heidenheim muss in die Relegation.
Letzte Chance.
Es gibt sie wohl immer und immer.
Die letzte Chance.