HEMINGWAY

scheisszeitenwende 100

 

Yves fährt fort im Prolog von „Der große Rausch“.

 

1923 sprach es sich unter den Künstlern in Paris herum, dass sich etwas Großes auf dem Boulevard Montparnasse tut.

„Wer da mitmacht, hat’s geschafft.“ „Die zahlen fast nix, aber bei der Eröffnung ist man dabei.“ „Das wird das Fest des Jahrhunderts.“

Und so standen die Großen Schlange, um arbeiten zu dürfen. Pünktlich zur Eröffnung waren alle wichtigen Wände und vor allem die Säulen angemalt.

Le Select! Die Adresse des Jahres!

Dann war erster Abend.

Was für eine Party!

Eintausendvierhundert Flaschen Champagner reichten nicht, frühmorgens wurde Nachschub beschafft. Auf der Gästeliste tout Paris, neben Anderen: Jean Cocteau, Pierre Benoit, Kisling, Foujita, Man Ray, Louis Aragon, Maurice Sachs, André Salmon, Maurice Vlaminck, Henri Béraut, Blaise Cendrars.

Die Glücklichen unter den Genies soffen Schampus.

Die Kreativen bezahlten ihre Zechen mit Bildern.

Der Rest hatte Hunger. Hemingway:

„Wenn man in Paris nicht genug aß, bekam man großen Hunger, denn die vielen Bäckereien hatten so gute Sachen in den Schaufenstern, und draußen auf den Bürgersteigen saßen Leute an den Tischen und aßen, sodass man überall Essen sah und roch…

Da verzogst Du Dich am besten in den Jardin du Luxembourg, wo Du auf der ganzen Strecke von der Place de l’Observatoire bis zur rue du Vaugirard nichts Essbares zu sehen oder zu riechen bekamst. Dort konntest Du noch immer ins Museum gehen, und alte Bilder wirkten interessanter und klarer und schöner, wenn Dein Bauch vollkommen leer war.

Da war das „Hochklosett des alten Mietshauses auf dem Treppenabsatz, mit zwei geriffelten schuhgroßen Erhöhungen aus Zement links und rechts der Öffnung im Boden, damit der locataire nicht ausrutschte, es entleerte sich in eine Senkgrube, deren Inhalt nachts in von Pferden gezogene Tankwagen gepumpt wurde. Im Sommer, wenn alle Fenster offen standen, hörtest Du die Pumpen, und der Gestank war enorm. Die Tankwagen waren braun und safrangelb gestrichen und wenn sie sich bei Mondschein die rue herunter arbeiteten, sahen die Zylinder auf den Pferdekarren aus wie Gemälde von Braque.“

 

Paris verschlang seine Genies.

Sie stürzten sich in einen Strudel der Lüste und Leidenschaften.

Sie wurden zu Sternschnuppen der Kunst – strahlten hell und scheinbar für die Ewigkeit, verbrannten sich, waren aus der Welt.

Paris berauschte sich an sich selbst.

Wer hier leben wollte – so richtig leben -, wagte den größten Einsatz, den man sich nur vorstellen kann:

Er setzte aufs Gewinnen.

Dabei ging es um sein Leben.

 

Davon handelt dieses Buch.

 

Der alte Handelsmann der Kunst schiebt das Manuskript von sich.

Er blickt seine Besucher an – er ist stolz und ängstlich und erschöpfte. Yves fragt:

„Und?“