DAS WAR’S

 

scheisszeitenwende 83

Baden gehen

Den bierschweren Kopf spült Max beim Schwimmen im See aus. Er setzt sich – obwohl Sonntag ist – an den Schreibtisch und arbeitet: Heute, sagt er sich, wird das Theaterstück fertig.

 

MIKE        Das sind ernste Zeiten, in denen Du erkennst, wer Dein Freund ist und wer nicht.

GLATZE          Häh?

MIKE       Ich bin gerührt.

GLATZE        Was biste?

MIKE          Ich erklär’s Dir. Vor einem Jahr haben wir noch hier rum gehangen und nicht gewusst, was los ist. Du hast an der Marokkanerin rumschrauben wollen. Ich habe in der Ecke gesessen, um die Susi geheult und gedacht, dass das nie wieder was wird mit irgendwas.

GLATZE     Und jetzt? Ist jetzt was anders?

MIKE         Aber hallo! Schnallst Du es nicht? Am Tag drauf  – ein Jahr ist das her – treffen wir ein paar wildfremde Menschen am See und kommen ins Reden mit denen. Das ist was Besonderes gewesen. War das nicht was Besonderes, Alexej?

ALEXEJ          Ein großes Wort sprichst Du gelassen aus. Reden. Nicht reden. Nicht mehr reden. Das Reden verlernt haben. Wir lebten in der Welt der vergessenen Sätze. Da beugten sie die Köpfe über ihre Handys, die Menschen, und wurden zu großen Schweigern. Sie wurden zu Lämmern, die schwiegen. „Das Schweigen“! Tystnaden, Schwedisch „die Stille, die Ruhe, das Schweigen“! Bergmann. Der große Bergmann!

GLATZE     Was hat er jetzt schon wieder? Er verträgt nix, Dein Alter.

MARIANNE      Sehe ich auch so. Er sagt, er ist ein Künstler. Lass‘ ihn einfach reden.

Alexej murmelt Philosophisches, was wir nicht verstehen. Von jetzt an bellt er ab und zu ein Wort oder einen Satz in die Unterhaltung.

FRAU REIMANN           Genau. Ist ja nicht so schlimm. Ich finde es auch ganz toll, dass wir uns hier so getroffen haben. Hätte ja keiner ahnen können. Und dass wir auch noch aus derselben Straße…

ALEXEJ          Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Tacitus.

FRAU REIMANN       Dass wir aus derselben Straße kommen. Ist schon komisch: Da lebt man jahrelang dort, und man kennt seine Nachbarn nicht.

HERR REIMANN         Na, die Marianne habe ich schon manchmal gesehen, morgens beim Joggen. Kann das sein, dass Du da mit einem Hund…

ALEXEJ          Das Gewissen redet einzig und ständig im Modus des Schweigens…

MARIANNE      Oje, jetzt ist er beim Heidegger.

MIKE         Woher weißt Du das?

MARIANNE        Das kenne ich. Ist ein Programm. Wie eine Schallplatte. Lauter Sprüche für Angeber. Oder glaubst, der Alexej liest Heidegger?

HERR REIMANN       Kann das jetzt sein, dass ich Dich mit einem Hund gesehen habe?

MARIANNE          Gut möglich. Will nicht drüber reden.

ALEXEJ       Ich weiß nicht immer, wovon ich rede. Aber ich weiß, dass ich recht habe. Muhammad Ali.

GLATZE      Echt?

MARIANNE       Einfach nicht ignorieren. Sonst hört er gar nicht mehr auf.

GLATZE        Ist doch nicht schlimm. Ein Witziger, Dein Alter.

MARIANNE      So kann man’s auch sagen.

ALEXEJ        Mein Witz, ich meld’s Euch, führt in gar schwarze Nacht.

GLATZE        Gott? Beckenbauer? Lady Gaga?

ALEXEJ      Depp, ungebildeter. Das ist von mir.

MIKE        Aber jetzt bin ich ganz von meinem Gedanken ab gekommen. Also, wir treffen uns, wir reden. Dann schauen wir zu, wie die Dressler im See absäuft.

GLATZE       Jetzt weiß ich, was Du meinst. Wir gucken der beim Ertrinken zu. In den Tagen drauf werden wir von den Bullen in die Mangel genommen…

MARIANNE        Ja, das habe ich nie ganz verstanden. Die bestellen jeden von uns ein. Danach müsste allen klar gewesen sein, dass wir alles gesehen haben.

FRAU REIMANN      Aber keiner hat sich nochmal gemeldet. Und mein Mann hat einen Bekannten, der ist bei der Polzei. Der hat ihn wissen lassen, dass wir uns keine Sorgen machen müssen.

HERR REIMANN      Der Akt, hat er gesagt, ist geschlossen.

ALEXEJ     Dann lasst uns den Schampus aufmachen. Nochmal davon gekommen. Pandemie vorbei. Dressler vergessen. Auf ein Neues. NIEMALS WAR MEHR ANFANG ALS JETZT.

MARIANNE            Puh!

ALEXEJ         Nix Puh! Walt Whitman. Schwul. Arm. Gelähmt. Und überhaupt nicht blöd.

 

Punkt. Max speichert die Datei.

Er ruft Anselm an.

„Ich bin’s.“

„Nicht möglich: Max?“

„Ja.“

„Dass es Dich noch gibt. Ich hab‘ gedacht,…“

„Lassen wir das. Ich brauch‘ Deine Hilfe. Lebst Du noch da oben?“

„Ja, klar. Was kann ich tun für Dich?“

„Ich bin ziemlich am Arsch. Kann ich…“

„Du willst rauf kommen? Sicher. So lange Du magst. Die Hütte ist frei. Wann bist da? Ich freue mich.“

„Übermorgen, wenn es geht. Ich muss hier noch aufräumen. Und wenn es geht, tät ich gerne den Sommer bleiben.“

„Kein Problem.“

 

Und so kommt es, dass Max an einem Dienstagmorgen im Mai in den Zug nach Tirol steigt und O. für ein paar Monate hinter sich lässt.