BECHET UND SO

scheisszeitenwende 95

 

Der Laden.

Sie müssen am Kiosk vorbei, einmal über die Straße, die hinunter zum See führt. Wenn sie sich umdrehen, sehen sie das Kunsthaus. Wenn sie sich nicht umdrehen, stehen sie vor der Auslage. Drucke. Bilder. Magazine. Schallplatten. Ein Drunter und Drüber. Ein paar Preisschilder. Alles sauteuer.

Yves verkauft keinen Ramsch.

Im Laden schreit alles:

Kauf nicht! Finde mich nicht! Geh wieder!

Auf den Tischen Berge von Papier. Ungerahmte Bilder. Hundert Jahre alte Original-Abzüge genialer Fotografen.

In den Regalen Erstausgaben, wild vermengt. Lyrik, Literatur, Reisebücher, Philosophisches.

In Ecken der Räume Stapel mit Kult-Magazinen aus den Sechzigern und Siebzigern. Schuhkartons mit Autogrammen.

An den Wänden Expressionisten. Kubistisches. Ein Klee, ein Kirchner, Picasso, Schweizer Wilde.

Im Laden ist das Denken der letzten hundert Jahre gelandet. Dazwischen eine Ritterburg, ein Dutzend Blechautos, naturkundlkiche und technische Dioramen.

Keine Kunden.

Aus dem hinteren Raum ist Sidney Bechet zu hören.

Hans sagt:

„Als ob er auf uns gewartet hätte.“

Clara nickt.

Bechet spielt „Petite Fleur“.

Hans kann den Text.

J’ai caché
Mieux que partout ailleurs
Au jardin de mon cœur
Une Petite fleur

Quand la vie
Par moment me trahit
Tu restes mon bonheur
Petite fleur

Tief in mir drin, im Gewächshaus meines Herzens, habe ich eine kleine Blume. Und wenn mich das Leben verarscht – dann gibt es immer den kleinen Trost. Die kleine Blume.

Sie stehen in dem unaufgeräumten Laden, in dem nichts verkauft werden soll und rühren sich nicht. Magischer Moment.

Aus dem Nebenraum hören sie Schuhe schlurfen.

Yves.