DEPART
scheisszeitenwende 116
„Noch eins?“
„Ja, bitte.“
Hans bestellt. Der Ober bringt das Bier eilfertig.
Hans gibt sich männlich.
„À la tienne!“
„Du wieder! Angeber. Zum Wohlsein!“
Sie stoßen an. Der Kellner steht ein paar Meter entfernt und sieht den Beiden ungeniert zu, wie sie leiden.
High Noon. Langer Zeiger der Bahnhofsuhr hat sich über dicken Zeiger geschoben. Er rückt weiter, nur ein kleines Stück.
Eins nach zwölf.
Klara redet, um etwas zu sagen.
„Wann geht nochmal Dein Zug?“
Zwölfuhrneunundfünfzig.“
„Ach, doch schon so bald. Das ist gut.“
„Was ist daran gut? 19 Minuten allein, ohne Dich hier auf dem verfickten Bahnhof. Die ersten 19 Minuten allein, ohne Dich.“
„Ach, Lieber, Du Lieber – es wird doch keine Ewigkeit werden.“
„Machen wir uns nichts vor…“
„Ich weiß, ich weiß. Aber lass‘ uns dran glauben, dass es gut wird für uns.“
„Wie soll das gehen?“
„Du schreibst mir. Ich schreibe Dir. Wir regeln unsere Sachen. Und dann sind wir zusammen. Ich glaube dran.“
„Alors. À la tienne!“
„Du bist eine männliche Drama Queen.“
„Na und? Mir ist nach Drama. Das Ganze ist ein Drama.“
„Komm, wir wollen etwas Schönes reden.“
„Ja, gerne. Und das wäre?“
„Wir machen eine To-Do-Liste. Jeder sagt sechs Sachen, die wir machen müssen, wenn wir uns wieder sehen. Das sind die Dinge, auf die wir uns freuen. Ich habe einen Zettel, auf den ich die Dinge schreibe, Du kannst die Sachen in Deinem Büchlein notieren. Dann hat jeder die Liste immer bei sich. Ist das gut?
„Sehr gut ist das. Ich bin fertig. Sechs Sachen, jeder. Du fängst an.“
„Ascona am Silvesterabend. Weißwein und Hummer. In Decken eingepackt vor einem Restaurant an der Promenade.“
„Vögeln im Luxuszug.“
„Der Krieg ist aus, und der Zug fährt von Moskau nach Petersburg.“
„Ich kaufe Dir von meiner Kohle was in London.“
„Ich kaufe Dir einen Bergführer aufs Matterhorn.“
„Wir fahren einmal durch Europa.“
„Und wenn wir fertig sind, fahren wir zum Garten von Monet, weil da die Seerosen blühen.“
„Sylt im November. Die Insel gehört uns.“
„Ägypten, oben auf dem Nil, in den Pyramiden und im Neuen Museum.“
„Zürich, betrunken vor der Kronenhalle.
„Bei uns zuhause.“
„Bei uns zuhause.“
„Lass‘ uns austrinken.“
Sie nehmen ihr Gepäck und verlassen die Brasserie. In der Halle des Hauptbahnhofs verschwinden sie im Gewoge der Passanten. Der Kellner serviert die Gläser ab und wischt die Tischplatte.
Ihr Zug verlässt den Bahnhof um 12.40 Uhr. Um fünf vor halb vier wird sie in Landeck aussteigen. Ihr Mann wird dort warten.
Auch der Zug von Hans ist pünktlich. 12.59 ab Zürich, 21.29 an Berlin. Ein Hotelzimmer in Schöneberg ist reserviert.
Es ist ein gleißend schöner Tag in Zürich.
