ARRIVAL
scheisszeitenwende 86
Lachend und nach Luft schnappend stehen sie auf dem Bahnsteig 13 im Untergeschoss. Haben sie doch fast das Aussteigen versemmelt!
Der Zürichsee wellte sich vor dem Fenster des Speisewagens, sie redeten und redeten. Clara und Hans kannten sich, bevor der Zug in die Züricher Stadttunnels einfuhr. Sie hasteten zurück zu ihren Plätzen, stolperten mit ihrem kleinen Gepäck aufs Perron.
Hinter ihnen schließen sich zischend die Türen, die meisten Menschen gleiten schon auf den Rolltreppen nach oben in die Stadt.
„Und? Was machen Sie jetzt?“
Sie weiß es nicht.
„Ich habe keinen Plan. Vielleicht sollte ich mir ein Hotel suchen.“
„Sie haben auch keins?“
„Nein. Doof, gell?“
„Überhaupt nicht.“
Kleines Schweigen. Er redet weiter.
„Darf ich einen Vorschlag machen? Nein, eigentlich sind es zwei Vorschläge. Und Sie dürfen nicht bös sein.“
„Versprochen. Machen Sie Ihre Vorschläge.“
Sie lacht wie ein junges Mädchen. Braune Augen hat sie. Dunkle Haare. Marilyn Monroe war fünf Fuß und sechs Zoll groß, das sind einsachtundachtundsechzig, Klara ist so groß wie Marilyn. Aber sie ist wetterfest und stramm und nachdenklich-heiter und braucht fürs Erotische keine signalroten Lippen. Hans ist hingerissen, er hat das Getriebe des Bahnhofs um sich herum vergessen, sein Schwips saust angenehm, er ist so mutig wie seit Gedenken nicht.
„Erster Vorschlag: Wir sagen Du.“
„Schön, das machen wir, ich bin die Klara.“
„Ich heiße Hans.“
„Und der zweite?“
„Wie bitte?“
„Na, der zweite Vorschlag.“
„Achso. Ja. Wenn wir auf das Du anstoßen, suchen wir uns ein Hotel.“
Ins Jungmädchen-Lachen funkt ein frivoles Blitzen.
„Achja?“
„Ja, ich meine nur,…“
„Ja. So machen wir das.“
„Darf ich Deine Tasche nehmen?“
Er darf.
Sie finden einen ruhigen Tisch vor der Brasserie du Sud. Gutes frisches Bier, ein akzeptabler Roter. Der Kellner erkennt Hans.
„Wieder im Land?“
„Ja. Schön, dass es Sie noch gibt.“
„Ja, ist mir eine Ehre. Ich bring‘ Euch was zum Knabbern.“
Na, sagt sie – leisen wohlmeinenden Spott in der Stimme – das ist ja wohl nicht das erste Mal, dass Hans hierher kommt.
„Nein. Das hier ist mein Platz in Zürich. Ich stell‘ mir hier immer vor, es geht los. Nach Mailand, nach Marseille, nach Genf oder Paris. In die Berge oder ans Meer. Seit ich mich erinnern kann, komme ich hierher, wenn ich in Zürich bin.“
„Ja, es ist ein schöner Platz für Fluchten.“
„Genau.“
Er telefoniert mit einem Gaston. Nach zwei Minuten ist alles besprochen. Ruhiges großes Zimmer im „Storchen“ mit Blick auf die Altstadtdächer. Für den Abend bestellt Hans zwei Karten für die Tonhalle.
Er legt das Handy zur Seite.
„Ich hoffe, Du magst klassische Musik. Habe Dich gar nicht gefragt. Wenn es Dir nicht passt, dann gehen wir nicht hin.“
„Nein, ich finde es bezaubernd. Aber…“
„Ich weiß: Wir haben nichts anzuziehen. Wir bringen jetzt unser Glump ins Hotel, dann kaufen wir ein und machen uns frisch.“
„Na, sag‘ mal!“
Sie lacht.
„Du bist ein seltsamer Mann. Aber ja – so machen wir es.“
Sann will sie wissen, was es in der Tonhalle gibt.
„Russischer Abend. Ist das okay?“
„Das ist sexy.“