KINNERGLÜGG

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.

Die Sache mit dem Rotwein hat sich folgendermaßen zugetragen (das Ganz ist insofern bemerkenswert, weil Sabrina und Hans keinen Alkohol im Haus haben. Ist besser so):

Also:

Am Tag vorm 1. Mai hat Sabrina in ihrer Klinik Termin mit dem Arzt. Die Operationsnarbe verheilt recht schön, alle Werte sind begutachtet – nun wird entschieden, welche Therapie die beste für die Patientin ist.

Hans fährt Sabrina in die Stadt. Er setzt sich in die Cafeteria und wartet.

Am Nebentisch redet eine junge Frau mit der Hebamme, die sie bei der Niederkunft im Sommer begleiten soll. Eine kompakte kompetente Geburtshelferin ist das, die ihren Beruf in Prag gelernt hat.

„Habe selbst zwei Kinder auf die Welt gebracht. Weiß, ist eine blöde Zeit. Aber alles wird gut.“

Die junge Frau erzählt, dass es auch ihre zweite Geburt sei. Die erste habe sich hingezogen, der Sohn habe im Anschluss ein Jahr an der Brust gehangen (das sagt die junge Frau mit einer Mischung aus schreckensvollem Erinnern und Stolz darauf, dass ihre Brust so begehrenswert gewesen ist, die Hebamme schweigt und lächelt). Nun werde es wieder ein Bub, das hätten sie und ihr Mann schon auf den Bildern gesehen, man sei frohgemut und wolle eine Hausgeburt versuchen (machen wir, sagt die Hebamme, ist kein Problem, haben wir schon hundertfach gehabt – und wenn es Komplikationen gebe, sei das Krankenhaus nicht weit; Hausgeburt sei klasse, ehrlich, da könne sie nur zuraten). Das Problem, führt die junge Frau aus, sei nicht die Geburt, auch nicht das Stillen, und der Mann habe ohnehin Elternzeit, man freue sich auf die Monate nach der Geburt, man müsse halt dem Sohn beibiegen, dass er jetzt nicht mehr der alleinige kleine Prinz sei, aber das werde er schon akzeptieren, wenn sie ehrlich sei, sagt die junge Frau, sei das große Problem ihre Mutter, das war schon beim ersten Mal so, die wisse alles besser, dabei sei sie doch auf dem Stand von vor 35 Jahren, aber in alles mische sie sich ein, davor habe sie, die kommende Mutter, jetzt schon Bammel, vor diesem ständigen Drein-Gequatsche.

Die Profi-Gebärerin unterbricht den Redefluss.

„Da müssen Sie sich durchsetzen. Ich kenne das. Da hilft nur Machtwort. —- Wollen wir Formulare ausfüllen?“

Ja, das würde sie gerne machen, antwortet die Junge und streicht sich über ihr Heiligtum von Bauch.

Hans Krohn weiß, dass es nicht korrekt ist:

Aber er ist zornig und kann die Frauen nicht leiden. Ihre Wichtigkeit, dabei geht’s nur um eine Nullachtfuffzehn-Geburt. Dieses Geschiss, dieses Kinderglück-Getue. Diese Politiker-Schauspieler-Antwort, die nie falsch ist: Der schönste Moment meines Lebens? Kann ich Ihnen sagen: Das war die Geburt meines Kindes. Dieses Eltern-Gewäsch.

Endlich sind sie durch mit ihren Formalitäten, zahlen Kaffee und Kuchen und machen sich vom Acker. Auf dass die Stadt sie schlucke!

Später kommt eine Frau, die er schon vor Wochen hier gesehen hat. Da drehte sie mit einer anderen Patientin eine Runde im Garten hinter dem Haus, da rauchte sie und sah ganz passabel aus.

Verglichen mit jetzt.

Das Sterben hat bei ihr angefangen. Muss wohl so sein, Krohn kennt sich damit nicht aus, aber so hat er es auch schon im Kino gesehen.

Die Frau zittert beim Kaffeetrinken und will nichts von niemandem wissen.

Dann ist Krohn der einzige Gast. Er liest in einem Buch über Wolken, aber er kann sich nicht konzentrieren. Nach einer Stunde ist er noch nicht nennenswert vorangekommen. Er notiert in seiner Kladde seinen Zorn auf die junge Mutter.

Die Tür geht auf.

Sabrina. Sie schaut ihn mit furchtbar großen Augen an. Sie muss sehr geweint haben, die Schminke ist verschmiert.

„Komm‘ bitte“, sagt sie. „Ich kann hier nicht bleiben. Ich muss raus.“