SITZ!
Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.
„Ziang’S de Hosn und de Untahosn aus. D’Schuach aa. Und nachad deafn’S Eahna auf den Stui do setzn. Da Herr Dokta kimmt glei.“
Die heutige Sprechstunden-Dame hat ein echt heißes Gestell. Kirschrote volle Lippen (könnte sein, dass sie schon mal beim Schönheits-Chirurgen war), super Eye Gloss für die Katzenaugen, grau lackierte Fingernägel. Kesser roter Bubi-Kopf. Der Rock ist kürzer als der Schwesternkittel. Gefällige feste Waden und schlanke Fesseln stecken in schwarzen seidenglatten wohl halterlosen und oben mit Spitze veredelten Strümpfen.
Aber dieser Dialekt!
Sie quetscht die Wörter raus wie ein gescherter Dachauer Kleinbauer mit Hang zum Alkoholischen.
Platz nemma!
Do is da Stui!
Hosn aus!
Wartn!
Da kommt man gar nicht erst auf irgendwelche halterlosen Schwarze-Spitzen-Gedanken. Man entledigt sich der Beinkleider. Schnell und beiläufig tritt man die Unterhose weg, nachdem man die Schuhbänder aufgedröselt hat.
Man…
Hans Krohn schlappt, untenrum nackig, in Socken auf den „Stui“ zu. Das Einmal-Papier auf der Gyn-Liege verrutscht ein wenig, als er sich setzt, ein Teil des Hinterns klebt nun auf dem Leder-Imitat.
Auch schon wurscht.
Auf einem Beistelltischchen liegen Magazine. „Schöner Wohnen“. „Focus“ und „Stern“, schmuddlig-zerlesene alte Ausgaben.
Obenauf „Fit for Fun“.
„Fit for Fun“, hier!
Sei’s drum.
Krohn liest, dass Buchweizen die Verdauung fördere. Dass es einen neuen Workout für die Bauchmuskulatur gebe. Welche Übungen besonders förderlich für vergnügten Sex seien.
Und er liest von zwei Extrem-Sportlerinnen, die in drei Wochen 4000 Kilometer durch Europa geradelt sind und dabei nie die gute Laune verloren. Ein Foto zeigt die Beiden von hinten, wie sie im Wiegetritt einen Alpenpass bezwingen.
Was für geile Ärsche.
Krohns Klöten ziehen sich zusammen, der Schniedel wird noch ein Stück kürzer – nur der Katheter ist ungerührt.
Die Tür wird aufgeschoben, geklopft hat keiner. Nun ja, hier ist der Doc Chef im Ring, der klopft nicht, der Doc. Der macht seine Sache schnell und geschäftsmäßig, verliert keine Zeit.
Die rote Sexbombe ist auch wieder da. Sie säubert martialisches Gerät und meint, mit einem Blick auf Krohns Scham.
„Sie deafa fei des Tuach do drüber leng.“
Ach, das ist ja schön. Das Tuch wird bei Operationen zum Abdecken von Körperteilen benutzt. Krohn breitet es über sein Becken und fühlt sich besser. Der Stoff schützt und ist angenehm kühl.
Der Arzt fragt, ob alles in Ordnung sei. Will die Antwort nicht so recht wissen. Ja, meint er, manche plagen sich mehr mit dem Katheter, manche weniger. Das sei normal.
„Dann wollen wir mal.“ Er hat Handschuhe übergestreift, setzt sich vor den Gynäkologen-Stuhl, schaut in Krohns (der hat die Waden in die Beinstützen gelegt) Anus, erklärt, nun könne es kalt werden und auch weh tun.
Ein Finger.
Ein Ding wie ein großer Dildo.
Eine Spritze.
Noch ein Finger.
Alles in Hans Krohns Arsch.
Jetzt nehme man Proben, das mache keine Schmerzen, schließlich sei die Stelle betäubt, das Geräusch könne unangenehm sein, Krohn solle möglichst still halten.
Tak! Tak! Tak! Tak!
„Halbzeit.“
Eine Minute später ist der Doc am Ende.
Befund in einer Woche.
“Sie deafn Eahna wieder oziang“, sagt die Sexbombe.
Hans Krohn zieht sich an und erinnert sich an seinen Vater. Der bewegte sich auch so, in dem Jahr, als er sterben würde.
Er lässt sich am Empfang den Termin bestätigen und macht im Erdgeschoss einen Abstecher ins Café. Die Chefin dort kennt ihn mittlerweile.
„San’s wieder amal da? Geht’s guat? Naa, ich seh‘ schon, heut‘ hat er sie gequält. Da, gehn’S her, da ham’S was für die Seele.“ Sie legt einen Schoko-Glückskäfer neben den Kaffee.
Krohn setzt sich und sieht uninteressiert auf den Feierabendverkehr.
Erschöpft ist er. Ein Mann, durch den Wolf gedreht.