GIPFELGLÜCK
Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN.
Ein unförmig großer Vollmond macht hinterm Allgäu die Biege.
Eine stechende Morgensonne macht überm Herzogstand lange Finger.
Es tut gut, auf dem Baumstumpf zu sitzen und in den Tag zu blinzeln, die Wärme krabbelt ins Gesicht, trocknet den Schweiß, wohlig kribbeln die Fußsohlen, in den Waden und den Armen, in den Schultern und Schenkeln ist Kraft. Keine Bullen-Power – aber genug Zähigkeit für den Berg hier.
Der Katheter, ein verschissener Fremdkörper, stört. Aber Krohn muss nur vom Baumstumpf aufstehen, den Katheter aus der Hose fummeln und es laufen lassen, bis kein Tropfen mehr kommt. Danach hat er eine Zeitlang Ruh‘.
Er setzt sich wieder. Sieht ins Land und erinnert sich, dass er schon oft hier war.
Er hat mal im Tal gelebt und ein Buch geschrieben. Nachmittags ist er in den Markt, hat sich Wein und Pizza besorgt und ist auf den Berg marschiert. Hat das verschwitzte Hemd gegen ein trockenes gewechselt, eine von den zwei Flaschen Wein leer getrunken. Danach ist er wieder hinunter marschiert.
Zuerst über die welligen Kuppen. Später durch dichten Bergwald, am „Schatzloch“ vorbei. Der Steig ist schmal und steil, mündet in eine Forststraße, die aus dem Wald auf die Almwiesen führt. Nun über Schotter, nach einer Stunde auf Teer ins Tal.
Dort ebenen Fußes zum Haus und zum Manuskript.
Oben noch leidlich nüchtern, unten angekommen im Zustand selbstverliebter Trunkenheit. Das war die beste Zeit des Tages: Wenn er sich einbildete, zu den Gewinnern zu gehören. Wenn er gut fand, was er schrieb und trieb. Wenn ihm die Zukunft zu gehören schien.
Er ging ins Haus, buk die Pizza, trank die zweite Flasche Wein und versank im Abend. Schlief vor dem Fernseher ein oder schaffte es ins Bett.
Egal.
Am nächsten Morgen machte er weiter. Und nachmittags ging’s zum Supermarkt und auf den Berg.
Hans Krohn meint sich zu erinnern, dass er nicht unglücklich gewesen sei, damals. Er machte die Dinge, weil er keine Kraft für anderes hatte.
Kraft hat er sich vorgegaukelt, indem er den Berg hoch hetzte – die flachen Passagen im Laufschritt, die Steilstücke im Kampf gegen den Krampf. Wenn er dann da oben auf dem Baumstumpf zur Ruhe kam, bildete er sich ein, ein Trinker sei zu dieser Leistung nicht fähig.
Also:
Alles im Grünen Bereich.
Nun sitzt er wieder da.
Nichts da mit Laufschritt.
Er hatte den bedächtigen Schritt seines Großvaters.
Er hat Schmerzen gehabt.
Aber jetzt sitzt er auf diesem Baumstumpf, und die junge Sonne flirtet mit seiner Nase.
Weitab von jeder Bestzeit.
Kein Wein weit und breit.
Ist doch auch was.