DRAUF GESATTELT
berlin, 3. mai 2015
Am ersten Sonntag in Mai tippeln eine Handvoll kleiner kurzberockter Japanerinnen durchs Brandenburger Tor. Sie stellen sich kichernd zum Selfie in Formation. Dann drehen sie sich um in Richtung Ostberlin. Blicken über den Platz und stellen vor Erstaunen das Gibbeln ein. Sie sehen sich konfrontiert mit 20 toten Pferden, mit Gerippen und Knochen – mit einem echt tierischen Elend. Einen rechten Reim können sich die Touristinnen nicht drauf machen – denn in ihrem Stadtführer wird das Bronze-Marmor-Ensemble nicht erwähnt. Jetzt müsste jemand da sein, der ihnen erklärt: Es geht hier um Kunst. Es geht um das Ende des Zweiten Weltkriegs. Und es geht um afrikanische Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. So jedenfalls will es ein Mexikaner namens Gustavo Aceves.

Guckma!! Ein “Lapidarium” am Brandenburger Tor. Was das nun wieder soll? FOTOS: BARBARA VOLKMER
Die Pferde der Quadriga hat der Künstler zu Gerippen herunter modelliert – am Brandenburger Tor in Mitte will mit seinen Skulpturen Gustavo Aceves an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin vor 70 Jahren erinnern. Aber das ist ihm noch nicht genug der Botschaft. Die toten Zossen gemahnen auch, so Aceves mit der Selbstsicherheit eines Künstlers, sind zudem Symbol für afrikanische Flüchtlinge und ihren tödlichen Weg über das Meer. Die Präsentation ist eine Zusammenarbeit der Berliner Galerie Jarmuschek, der mexikanischen Botschaft und der Kulturprojekte Berlin GmbH und Teil der Stadt übergreifenden Veranstaltung „Mai ’45 – Frühling in Berlin“.
Allen hat das nicht gefallen. Eine Bezirksjury wollte die Installation verhindern. Letztendlich hat sich der Mexikaner aber durchgesetzt und seine Pferde unter der Quadriga verenden lassen. Und der Betrachter kann nicht umhin, eine kleine Gänsehaut zu haben.
Gestern gaben dann die Politiker ihren Senf zur Kunst. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte auf einer Gedenkfeier im Abgeordnetenhaus – und er redete da von den mexikanischen Todes-Pferden : “Sich der Verantwortung für eine friedlichere Welt zu stellen, das heißt auch, Flüchtlinge in der Stadt willkommen zu heißen”.

Bei Lichte besehen ist das: KUNST!
Des Weiteren, so vermeldet hoheitsergeben die “Morgenpost”, trug sich Folgendes zu:
“Zuvor hatte Müller einen Kranz vor dem Haus am Schulenburgring in Tempelhof abgelegt. Und damit drei weitere Geschichten ins Bewusstsein geholt. Eine weltpolitische, eine persönliche – und eine, die immer noch geschrieben wird. Erstens: In einer improvisierten Kommandozentrale in diesem Haus endete am 2. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Berlin mit einem Vertrag zwischen Deutschen und Sowjets. Sechs Tage vor der Kapitulation. Adolf Hitler hatte sich am 30. April umgebracht. Zweitens: Müller ist in diesem Haus aufgewachsen, sein Vater lebt noch immer dort. Jeder Deutsche ist eben mit der Geschichte verwoben. Drittens: ,Gerade auch dieser Ort’, sagte Müller, erinnere daran, dass die Befreiung Deutschlands auch der Roten Armee zu verdanken sei.
Dass an der Kranzniederlegung auch Wladimir Michailowitsch Grinin teilnahm, Botschafter der Russischen Föderation, führt in die Gegenwart. Zu jenem Teil der Geschichte, der weiter geschrieben wird. Wie ist das deutsch-russische Verhältnis, seit die Deutschen den von ihnen angezettelten Krieg verloren haben? Es beginnt mit der Roten Armee, die unter großen Opfern die Stadt befreite. Daraus wurde die Geschichte der Teilung Berlins. Heute ist das Verhältnis belastet seit der Annektion der Krim unter der Regie von Russlands Präsident Wladimir Putin.”
Auch Bundespräsident Joachim Gauck wurde öffentlich belobigt, weil er in der “Süddeutschen” den Menschen aus der Sowjetunion” Dankbarkeit und Respekt” bekundet hatte – “ungeachtet der Tatsache, dass die sowjetischen Befreier nach dem Krieg als Besatzer im Osten Deutschlands für Unfreiheit, Unterdrückung und Verfolgung gesorgt haben”.

KUNST im Kleinen unterm GROSSEN…
Natürlich an diesem wichtigen Weekend die Kanzlerin höchstselbst das gemessene Wort. Für sie werde es “ein sehr wichtiger Moment sein”, wenn sie am 10. Mai nach Russland fahre. “Wir haben mit Russland im Augenblick sehr tief gehende unterschiedliche Meinungen – gerade auch über die Fragen dessen, was in der Ukraine abläuft. Und trotzdem ist es mir wichtig, am 10. Mai dort gemeinsam mit dem russischen Präsidenten einen Kranz am Mahnmal des unbekannten Soldaten niederzulegen.”
Vergessen sei an dieser Stelle keinesfalls der wackere Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er verkündete mit kreideweicher Stimme im Abgeordnetenhaus, man sei saufroh, dass man Spezl in USA, Polen und auch bei den Russen habe. Ihnen rief er zu: “Die Hand, die Sie uns gereicht haben, die lassen wir nie wieder los.”
Supi, Steini! Applaus, Angie! Yeah, Joachim! So mögen wir das Feiern.
Da lassen wir uns dann auch gerne einen mexikanischen Künstler gefallen, dem das Elend des Weltkriegs nicht reicht. Der packt ins Brandenburger Werk auch noch alle afrikanischen Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Drunter macht er es nicht.

Nur manchmal guckt ein Zosse das “Brandenburger” nicht mal mit dem Hintern an.