45 JAHRE GUT

berlin, 21. april 2015
Freunde der kultivierten Kommunikation, Achtung! Bereit machen, bitteschön, zum dezenten Jubilieren: Das “Zeit-Magazin” und der “Tatort” werden 45. Anlass für das Hamburger Wochenblatt, den Lesern zu versprechen: “Diese beiden Geburtstage werden im nächsten Heft mit einer besonderen Ausgabe gefeiert.” Recht so. Man gratuliert gern.
Der “Tatort” hat schon mal “vorgeglüht”. Am Sonntag ermittelten die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf. Sie haben den Fall gelöst, fast elf Millionen Zuschauer haben es mit Befriedigung verfolgt. Und auch die “Bild” war zufrieden. Heute lobt sie: “Krach, zisch, bumm! Alles dabei.”
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So sehen Lieblinge aus: Dieter Bär und Klaus Behrendt (rechts).

In der Tat: Dietmar Bär und Klaus Behrendt sind untadelige TV-Polizisten. Die müssen nicht wild um sich ballern wie die Herren Schweiger oder Möhring, sie müssen auch nicht die gebrochenen Edel-Schauspieler raus kehren wie die Herren Tukur oder Hartmann. Sie spielen Menschen – und das reicht.
Bär und Behrendt essen Würstchen, und das ist himmlisch. Bär ist sauer, weil andere Kerle besser aussehen als er – und das findet der Zuschauer spannend. Die Fälle, an denen die Beiden arbeiten, kommen aus der Wirklichkeit, die Dialoge könnten so auch auf der Domplatte zu hören sein.
Der Kölner “Tatort” ist der Beweis dafür, dass gute Unterhaltung ganz einfach und deswegen auch ganz schwer ist.
Aber die Redakteure versuchen, alles neu zu erfinden. Dietmar Bär formuliert vorsichtig seine Bedenken:
“Bei den vielen neuen Kommissaren verliere auch ich langsam ein bisschen den Überblick. Und wenn ich mir das Feedback von den Menschen anhöre, die ich privat treffe, habe ich den Eindruck: Viele Zuschauer kommen nicht mehr so richtig mit.
Ich denke, dass man diese Sache nicht aufhalten kann, weil sich die Sender auch intern verändern. Und dann muss selbst die letzte Bastion, das Ermittler-Duo aus München, bald mit dem Tatort Franken und damit einem kleinen Bruder leben. Nicht falsch verstehen: Ich finde es toll, dass neue Teams entstehen und gute Schauspieler dadurch Arbeit finden. Ich fürchte aber, man wird erst merken, dass das Format nicht weiter belastbar ist, wenn das Interesse der Zuschauer abflaut. Aber danach sieht es derzeit ja noch nicht aus.”
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Immer noch scharf: Der Blick der Nation.

Jaja, beruhigt Kollege Behrendt. Aber er ist auch sicher, dass sich die Patina-“Tatorte” immer durchsetzen werden:
“Dietmar ist Jahrgang 61, ich 60, der Hauptanteil der Bevölkerung ist in unserem Alter. Wir sind die stärkste Kraft in diesem Land. Deshalb finde ich den Jugendwahn, den manche Sender plötzlich kriegen, so komisch. Ich denke mir dann, hallo, die Leute, die vorm Fernseher sitzen, die sind genauso alt wie wir. Film hat doch auch viel mit Identifikation zu tun.
Der Tatort hat einfach eine ungeheure Durchschlagskraft. Man versucht sich das manchmal vorzustellen, zehn Millionen Zuschauer, das sind 200 Fußballstadien voll mit Leuten, die auf deine Nase gucken, da wirst du doch bescheuert im Kopf.”
Nana, das ist fishing for compliments auf hohem Niveau. Qualität bleibt Qualität bleibt Qualität.
Auch die manischen Neuerer kriegen eine Marke wie den “Tatort” oder das “Zeit-Magazin” nicht klein. Schon in der Magazin-Nummer vor der Feier-Arie bauen die Macher auf Sinnlichkeit, klasse Handwerk und Bewährtes.
Im “Zeit-Magazin” Nummer 16 kocht Philip Lahm (Fußball-Profi) Knödel. Wolfram Siebeck (Feinschmecker-Veteran) rührt Kartoffelpüree an. Die Fotos dazu riechen köstlich. Jean Paul Gaultier (macht in Mode) hat einen tollen Traum von Madonna und Sex. Und der Kolumnist Martenstein ist in Form und lässt Sätze fliegen wie “Nun, ich kann in Deutschland nicht alle Kinder machen. Ich tue schon, was ich kann”.
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Es ist angerichtet – die einfachsten Rezepte sind oft die Renner der Saison.

Das ist luftig, das ist ein bisschen lustig, das macht Lust aufs Lesen.
Und irgendwie ist das wie vor 45 Jahren. Wie auch beim “Tatort”:
Alter schützt vor Klasse nicht.