TOD IM APRIL, TEIL II
berlin, 17. april 2015
Ein DDR-Grenzer hat seine Schicht abgerissen und legt sich zu Bett. Ein Lkw-Fahrer hat einen leichten Kater, als er die letzten Vorbereitungen zur Republikflucht trifft. Ein verdrossener NVA-Soldat und sein Kumpel haben sich in der Dunkelheit nach Potsdam durch geschlagen und müssen sich nun verstecken, bevor sie in der kommenden Nacht in den Westen “rüber” machen. Die drei jungen Männer haben noch einen knappen Tag zu leben.
TOD IM APRIL: Teil II, im “Journal”
Es ist der Dienstag der Karwoche. Jörgen Schmidtchen, geboren am 28. Juni 1941 in Leipzig, fühlt sich ganz wohl im Süden von Berlin. Stationiert ist er in der Kaserne der Grenzbereitschaft in Blankenfelde. Zur Zeit ist er für die Nacht-Patrouillen eingeteilt.
Er hat den Job gewollt. Nach seiner Lehre als Galvaniseur und einer Stelle im Ludwigsfelder VEB Industriewerk bewarb sich der ausgezeichnete Jungaktivist bei den Grenztruppen, ist vor einem knappen Jahr zum Gefreiten befördert worden, bereitet den Vorgesetzten Freude.
Später wird es im Wochenblatt der NVA heißen: “Er wusste, wie verantwortungsvoll sein Dienst war, damit der Frieden erhalten bleibt. Und diese Aufgabe hat er bis zum letzten Herzschlag gewissenhaft erfüllt und damit ein Ruhmesblatt sozialistischen Heldenmuts geschrieben.”

Überwacht.
Im Augenblick, an diesem 17. April 1962, lebt Jörgen Schmidtchen ein Leben, fernab von allen schwülstigen Ehrenkodizes. Regelmäßig ist er auf Streife am Gleisdreieck bei Babelsberg. Tagsüber schläft Jörg aus. Die Nächte sind dunkel und fad. Aber wenigstens wird es jetzt Frühling. Noch vor einem Monat hat es geschneit, als bräche die Apokalypse über Berlin herein.
Nun prophezeien die Wetter-Experten einen Rest-April der steigenden Temperaturen. Bald wird man im Biergarten sitzen können.
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“Chef, kann ich mir ‘nen Laster ausborgen. Brauche ihn heute. Morgen bring’ ich ihn zurück.”
Warum er einen Lkw brauche?
Na, da ist ein Umzug fällig. Nicht riesig, aber ein Laster wäre da hilfreich.
Geht klar, Klaus Brueske kriegt den Wagen. Er ist ein fröhlicher Kollege mit traurigen dunklen Augen und nach hinten gekämmtem, vollem welligem Haar. Klaus hat einen Schlag bei den Mädchen und eine kleine Anarchie in sich.
Geboren am 14. September 1938 in Berlin. Eines von acht Kindern. Beginn der 1960er zieht der Vater von Friedrichshain nach Westberlin um, der Sohn folgt ihm – zumindest an die Arbeitsstelle. Pendelt zwischen dem Osten und der AEG . Als sich die Fronten zwischen BRD und DDR verhärten, beschließt Klaus, er werde im Osten bleiben.

Eingemauert.
Er verdient als Kraftfahrer sein Geld, aber so doll zufrieden ist er nicht. Immer wieder quatschen Klaus und die Freunde darüber, dass es ganz schön doof ist, was da im Land passiert. Sie hören, wie Gleichaltrige die Biege machen – und dass es im Westen die besseren Nietenhosen und die kürzeren Röcke gibt. Und irgendwann sind Klaus und sechs Andere einig:
Das wird hier nichts mehr mit dem Ulbricht und so. Besser, wir suchen im Westen was Neues.
Nun sind sie soweit. Klaus borgt sich vom Chef den Laster aus. Man belädt die Karre mit Sand und Kies – dann wird sie zu dem Geschoss, das sie sein soll.
Es wird Abend. Klaus und seine Freunde treffen sich noch auf ein Henkers-Bier in ihrer Stammkneipe.
Es kann los gehen. Nur noch wenige Stunden. Dann werden sie im Westen weiter feiern.
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Es war ein mühseliger Nachtmarsch durch den Wald. Rechterhand hörten Peter und Wolfgang die Wellen des Templiner Sees. Sie ließen sich Zeit, Potsdam mit seinen fahlen Lichtern war ja so weit nicht weg. In den Rucksäcken war ihre kleine Habe und ein karger Proviant – und sie trugen mit sich die geklauten Pistolen und die Munition.
Zurück in die Kaserne in Geltow können sie nicht. Jetzt muss PeterBöhme die ungute Vergangenheit endgültig hinter sich lassen.

Alle Brücken abgebrochen. Was jetzt?
Geboren am 17. August 1942 in Karl-Marx-Stadt. Weil er “Nietenhosen” im Westen gekauft hat, ist er mit 16 fast von der Penne geflogen. Mittlere Reife. Die Lehre als Kfz-Schlosser muss er abbrechen, nachdem er 1960 in den Westen geflohen und vom Papa zurückgeholt worden war. Peter Böhme wird zum Dienst in der Nationalen Volksarmee zwangsverpflichtet. Grundlehrgang. “Uffz”-Lehrgang. Bewerbung als Offiziersschüler. Versetzung von Cottbus nach Geltow.
Irgendwie alles Scheiße.
Peter freundet sich mit Wolfgang an. Dem stinkt es auch gewaltig. Man träumt, man redet, man plant, man beschließt.
Fahnenflucht.
Waffen klauen. Ab in den Wald.
Nun dämmert der Dienstag. Peter und Wolfgang drücken sich in stillen Teilen von Potsdam herum und versuchen, nicht aufzufallen. Es ist ein langer, ereignisloser Tag. Dann macht die Sonne im Westen Feierabend.
“Auf geht’s”, sagt Peter. Jetzt gilt es. Sie müssen noch sechs Kilometer weiter. Zur Feier des Tages nehmen sie ein Taxi.
Morgen: Erstickt. Erschossen. Aus.