WIESN V

scheisszeitenwende 14

In Italien ist Angelo noch nie gewesen. Da will er auch nicht hin.

Warum?

Seine Eltern sind aus Italien – soll er mehr sagen?

„Eltern!“ Da kann er nur lachen! „papa!“ „mamma!“

Fickt Euch!

Kalte Wut steigt hoch. Automatisch prüft Angelo die Sicherheitsbügel der „Breakdance“-Gondeln. Er lächelt die Kundschaft an – dabei wallt in ihm ein giftiger Hass.

Die Sonne scheint, das Geschäft brummt, endlich verdienen sie wieder Geld, sie werden zwei geile Wochen in München haben. In ihrem Kassenhäuschen sitzt Cristina Brusca, die Chefin, und lächelt ihm durch die Gestänge des „Breakdance“ zu, sie sieht froh aus, die Chefin. Mit rauchiger Stimme geilt sie die Kundschaft auf.

Habt Ihr noch Böcke hier?

Seid Ihr gut drauf hier? Jetzt geht’s ab hier, jetzt geht’s los! Geh, geh, geh! Gehgehgehgehgeh! Gegegegege!

Alle Maschinen auf Schub. Attaacke! Auf die Plätze, fertich, festhalten!

Eigentlich ist ein guter Tag. Trotzdem dieser Hass. Bloß weil er gerade einer italienischen Familie – Vater und Tochter in die eine, Mutter und Sohn in die andere – in die Gondeln geholfen hat. Sie haben gelacht und italienisch gesprochen, sie waren aufgekratzt.

Una famiglia italiana! Glücklich in Deutschland! Verboten gehört das!

Wenn ihm so etwas begegnet, kann Angelo nicht anders:

Dann ist ihm zum Kotzen. Er hasst es, diese Makkaronis froh zu sehen.

Weil er dann sofort an seine „Eltern“ denkt. Immer die gleiche Szene im Kopf.

Carlo, der Vater, sitzt in seinem Massagestuhl im Wohnzimmer und raucht in kurzen lustlosen Zügen. Er sieht fern, der Ton ist ausgeschaltet. Still ist es, aus der Küche hört man Klappern und Schlurfen. Manchmal hustet der Vater; wenn er es gut macht, kann er ein wenig Schleim abhusten, den er in eine Tasse vor sich spuckt.

Auf dem Orientteppich liegt Kater Pietro – man könnte meinen, das Vieh sei ausgestopft. Es riecht nach kaltem Rauch in dem überheizten Zimmer, die bodenlangen weißen Gardinen haben den Gilb, die Kakteen auf der Fensterbank sind Jahrzehnte alt, unfreundlich und wehrhaft.

Pietro ist fett, Carlo sehr mager. Als er und seine Frau aus Ancona nach Hanau zogen, war Carlo ein braungebrannter sehniger Charmeur, der pfeifend die Arbeit auf dem Bau erledigte und am Wochenende hinter den Weibern her stieg. Es kümmerte ihn nicht, dass er verheiratet war. Er machte seiner Lucia dreimal in fünf Jahren einen dicken Bauch, sie brachte zwei Mädchen und Alberto zur Welt, sie richteten es sich in Hanau ein, Lucia kümmerte sich um die Familie – und Carlo poussierte mit allen, die er kriegen konnte.

Die Frau ist dick geblieben. Sie hat ein fettes Gesicht, in dem die Augen mehr und mehr verschwinden. Sie kann nicht mehr gut gehen. Watschelt in der Küche hin und her, hat immer etwas zu kochen oder backen. Oder sie telefoniert mit Freundinnen oder den Töchtern. Oder sie geht rüber ins Wohnzimmer und wechselt die Spuck-Tassen vom Mann aus. Oder sie ist müde – dann öffnet sie das Fenster, legt ihr Schmusekissen aufs Sims und sieht auf die Straße. Die ist nicht sehr spannend. Ein Dönerladen, ein Obsthändler, der Kiosk an der Ecke. Unter Lucias Fenster geht man achtlos vorbei, man huscht schnell weiter, es gibt keine Unfälle auf der Straße, es gibt nichts zu sehen.

Das kann sich Lucia stundenlang und immer wieder anschauen.

Die Mutter: Das ist für Angelo ein breiter Hintern in einer graublauen Kittelschürze. Der Rest der Mutter hängt überm Schmusekissen und schaut auf die Straße. Die Mutter: Das ist ein fetter Mund, aus dem Sturzbäche von Sinnlosigkeit brechen. Einmal im Vierteljahr ist Tag der Depression, dann heult die Mutter, als sei sie Maria und flenne über Jesus am Kreuz. Die Mutter: Das ist ein atemraubender Dunst von Achselschweiß und Knoblauch-Küche.

Der Vater: Das ist weißliche Spucke in einer Tasse. Das ist Fernsehen ohne Ton. Das sind die Zornausbrüche, weil sich alle Träume geschreddert haben. Der Vater: Das ist eine knochige Greisenhand, die früher dem Angelo schon nach Nichtigkeiten ins Gesicht geschlagen hat. Der Vater: Das ist ein blutleeres Gesicht, mit erkalteten grauen Augen, fadendünnen Lippen. Der Vater: Das ist der Mann, der den Tod hustet.

Einmal – da hat ihn der Papa noch manchmal zum Heimspiel der Eintracht mitgenommen – hat Angelo gefragt, welches denn der beste Verein in Italien sei. Der Vater hat ihn taxiert wie ein Forscher das tote Präparat: „Italienischer Fußball ist mir egal. Merk Dir das: Italien ist uns egal.“

Man hat nie mehr darüber geredet. Angelo hat die Heimat von Vater und Mutter nie betreten. Ihren Hass hat er mitgenommen, als er das Elternhaus verließ. Und so soll es bleiben.

Wir sind noch nicht am Ende. Let’s do it! Hasta la vista, baby! Noch eine Runde? Wollt Ihr noch ‘ne Runde?

Angelo macht sich bereit. Gleich wird der „Breakdance“ sich langsamer drehen, abbremsen, Angelo wird den lachenden Menschen aus den Gondeln helfen.

Auch dieser glücklichen famiglia.

Er wird sogar so etwas wie ein freundliches Gesicht machen.

Aber sie werden ihm widerlich sein, die Katzelmacher.

Wenn er es recht bedenkt, ist Cristina, die er momentan fickt, auch so eine bagassa.

Sei’s drum. Nächste Fahrt. Cristina sagt an.