TOTE POST

berlin, 8. januar 2015     Wenn Klaus durch die Drehtür des Jobcenters schlappt, schaltet er auf Autopilot. Er knipst die Gefühle weg, er sieht nicht nach links und nicht nach rechts. Vom nach schwitzenden Menschen riechenden Lift lässt er sich in die Etage bringen, in der schon ein Sachbearbeiter auf ihn wartet. Nun, nicht direkt auf den Menschen Klaus wartet der Hartz-IV-Verwalter – er wartet auf den Vorgang und die Nummer, die man Klaus verpasst hat.
Dann wird etwas erläutert. Es werden alle Hoffnungen auf einen Job im Keim erstickt. Es werden Formulare ausgehändigt, mit dem Hinweis, sie seien fristgerecht auszufüllen. Klar, geht auch via Internet.
Hauptsache, fristgerecht.
Und natürlich fragt Sachbearbeiter/in auch, ob sich Klaus auch ordentlich um eine neue Stelle bemüht habe. Geht auch im Internet.
Hauptsache, man tut was. Aufgeben gilt nicht.
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Bitterer Bittgang. Das Entree des gut besuchten Jobcenters. FOTOS: DETLEF VETTEN

Zu Beginn hat Klaus für die Gesuche noch teure Mappen gekauft. Doch er bekommt ja nur ganz selten Antworten – und wenn, dann Absagen. Was soll also das Gedöns? Jetzt bewirbt er sich per E-Mail. Kommunikation in Sachen Arbeit – das ist doch sowieso nur tote Post.
Zwischendurch hat er sich als Kneipier versucht. Winzige Pinte. Die lief anfangs gut, aber er konnte nicht so recht „mit den vielen Psychopathen, die da abgehangen sind“.
Noch einmal eine Stelle als Verkäufer.
Wieder gekündigt.
Nun, manchmal, so Schulungen vom Arbeitsamt. Computer und so ’n Kram. Den Stoff kennt er schon, die Kolleginnen und Kollegen gehen ihm auf den Wecker. Da rücken sie um sieben Uhr morgens an und haben verquollene Gesichter. Lachen ist nicht, in der Klasse riecht es nach Alkohol, Zigaretten, Schweiß und Nicht- Gewaschen. Der Lehrer hat keinen Bock, und die Schüler wachen kurz vor der Rauchpause auf. Dann stehen sie sich im Hinterhof die Füße platt und quatschen über die Hertha und „Deutschland sucht den Superstar“ und den aussichtsreichsten Kandidaten im “Dschungelcamp“.
Nee, das bringt nicht weiter. Klaus hat nur den Hauptschulabschluss, aber im Kopf war er immer ein Flinker. Er mag’s nicht, wenn nichts weitergeht.
Also, was geht?
Nüscht mehr. Er hält sich wacker, kümmert sich um die Kinder, führt den Hund aus – aber er wiegt zu viel, raucht zu viel und kann wegen der Knie keinen Sport mehr treiben (er war mal ein passabler Tischtennisspieler). Er tröstet sich damit, dass ihm wenigstens noch der Humor geblieben ist. Doch die Realität lässt sich nicht weglachen.
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Alles geregelt, vieles verboten, wenig erlaubt. Und ja keine Extrawürste!

Haushaltsbudget? „Ach was, wir müssen generell jeden Monat irgendwas schieben, ’nen Haushaltsplan machen wir nicht mehr“, sagt Klaus, von einem Tag auf den anderen ein Mensch zweiter Klasse. „Vor Kurzem waren wir im Zoo – als ich da wegen der Ermäßigung meinen Hartz-IV-Ausweis an der Kasse vorlegen musste, das war schon bitter.“
Vor kurzem lag wieder mal ein Jobangebot im Briefkasten. Klaus juckelte nach Hohenschönhausen. Sechs Tage die Woche Arbeit, Stundenlohn drei Euro und ein paar Zerquetschte. Macht netto rund 800 im Monat. Wo die Dauerkarte mit der S-Bahn schon über hundert kostet. Da konnte er auch gleich zu Hause bleiben.
Ein paar Tage später steht sich Klaus im Jobcenter die Füße platt. Ein Mann mit einem müden Gesicht inmitten von entmutigten, wütenden Menschen. „Würde mich nicht wundern, wenn hier mal einer mit ’ner Bombe reinmarschieren täte.“
Mehr sagt Klaus nicht. Aber er wirkt in seiner Ruhe unheimlich. Wie hält der Mann den Druck nur aus?
Klaus erinnert sich daran, wie alles anfing mit der Arbeit. „Als Junge wollte ich immer Spaß haben, auf der Straße bolzen, Wilmersdorf unsicher machen. Was halt die Lauser für Dinger drehen. Ordentlich Geld wollte ich verdienen.“ Als die Schulzeit zu Ende ging, machte er einen Test bei der Post. Er war ziemlich vorwitzig und hatte eine große Klappe.
Also, der Test: Alles lief gut, eine letzte Aufgabe, lächerlich leicht. Er guckte sich den Fragebogen an und sagte zum Tester, das sei wohl nicht dessen Ernst, ihn mit so einem Kinderkram zu behelligen. Ist aufgestanden und gegangen.
Hat sich einen Job in einem Kaufhaus besorgt. Nicht mal förmlich beworben hat er sich. Ist einfach hin, hat gefragt, ist sofort genommen worden. Wegen der großen Klappe, klar. Der Klaus konnte den Eskimos Eismaschinen andrehen.
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Kein Anschluss unter dieser Nummer, keine Meldungen, keine Nachrichten, keine Jobs. Am “Schwarzen Brett” tut sich nichts.

Drei Verkäuferstellen waren damals frei: Autozubehör. Hobby-Heimwerker. Elektrogeräte.
Keine Frage – er nahm den Job, in dem es die größten Provisionen gab. Richtig gut hat er damit verdient. Hat die Provisionen mit den zwei älteren Kollegen in einen Topf geworfen, dann gab es keinen Knatsch.
„Ich mag das: den Kunden was verkaufen. Da mache ich das, was ich am besten kann – ich quatsche. Ich habe richtig viel verdient, ich habe das meiste auf den Kopf gehauen. Ich war mal wer.“
Ja, so isses, Klaus:
Du warst mal wer. Jetzt biste Hartz IV.
Das kennste doch von der Hertha – wie es ist, wenn man zu den Absteigern gehört.
Gibt nur einen Unterschied zwischen Dir und der Hertha:
Die Hertha steigt immer wieder mal auf.

Morgen: Das Mobiliar der Armut