ARME SAU

scheisszeitenwende 4

Maxim Biller tut kund, er werde nie mehr einen Roman schreiben, weil er so verzweifelt sei.

Damit hat – so er sich an seinen Schwur halten sollte – dieser Biller öffentlich seine „Zeitenwende“ definiert.

Das evoziert eine recht verhaltene Bambule unter den Feuilleton-Schwuletten. Ansonsten ist der Biller-Zorn-Seufzer so interessant wie das in Zentralchina umfallende Rad.

Er ist gerade mal einen Tag in Berlin. Axel Kerr sitzt im „Einstein“, wo er ein Frühstück bestellt hat. Ein bisschen irritiert ist er, weil er das „Einstein“ anders in Erinnerung hat. Die haben wohl während des Lockdowns ein paar Mauern weggerissen – zumindest scheint es ihm jetzt, als sitze er in einem Erster-Klasse-Wartesaal der Kaiserlich- und Königlichen Zeit.

Er kann sich das Frühstück hier nur schwer leisten. Zwei Eier im Glas, Marillenmarmelade, zwei Semmeln, ein Kaffee.

Luxus für Axel Kerr, der auf Besuch in der Stadt ist. Er hat sich am Eingang zwei Tageszeitungen gegriffen, die wird er studieren, vielleicht wird er Notizen machen und über eine neue Erzählung nachdenken.

Er ist ordentlich in Form, sauber rasiert, riecht nach Guérlain, sein zerwetzter hellblauer Pullover ist aus feinem hundertprozentigem Kaschmir, ausgetretene 15 Jahre alte maßgeschneiderte Leichtbergschuhe trägt er. Das T-Shirt hängt locker über der Jeans, der Typ sieht nicht uninteressant aus.

Er nimmt einen Löffel Ei und beschließt, vor den Tageszeitungen und den Notaten durchs Netz zu strolchen. Er guckt auch nach, was sich auf „Facebook“ tut.

Dort hat Maxim Biller einen Aufsatz platziert. Da steht nun:

„Alles war umsonst“

Es folgen viele Zeilen. Maxim Biller erklärt, er werde nicht mehr schreiben, weil er durch den Krieg in der Ukraine in seine private Schockstarre getreidelt worden sei. Jetzt sei es soweit: Keine Zeile mehr von Maxim.

Der Gast vom „Einstein“ löffelt sein zweites Ei und lächelt.

Endlich!

Endlich lässt er es sein, dieser Biller. Behelligt niemanden mehr mit seiner Betroffenheits-Suada. Endlich ist er still, dieser Mensch, der sich auf das Jüdische und das Emigrantenschicksal beruft, um dann zu behaupten, er sei ein Wortakrobat.

Endlich verzieht er sich in den Ruhestand.

Axel sieht den Frauen und Männern im “Einstein” zu, wie sie so leben. Später setzt sich ein Kumpel zu ihm. „Du in Berlin?“, fragt er.

„Ach, bin nur ein paar Tage da.“

„Verstehe.“

Der Kumpel bestellt ein Bier – seiner Lebtag hat er den ersten Alkohol vor Mittag gehabt, betrunken hat man ihn noch nie geeshen -, der alte Mann ordert eine Milchkaffee.

„Und? Was machst Du in der Stadt?“

„Noja, ausspannen vom Land.“

„Und. Wie isses in der Stadt?“

„Weiß noch nicht. Im Augenblick ärgere ich mich. Aber das hat mit Berlin nix zu tun.“

„Wie? Ärgern? Wie meinst das?“

„Über den Scheiß-Biller.“

Er schiebt das Handy über den Tisch. Der Freund liest:

Kurz vor dem Ukrainekrieg habe ich ein Buch zu Ende geschrieben – mein letztes. Denn ich höre auf, zu schreiben. Ich will kein Schriftsteller mehr sein, ich will nie wieder einen Roman oder ein Buch mit Erzählungen veröffentlichen.

Der Freund sieht von der Lektüre hoch und grinst. „Ach, der Biller. Was stört Dich denn da dran?“

„Der Mensch macht sich wichtig. Er ist…“

„Red nur weiter.“

Im „Einstein“ ist es ein wenig zugig, der Kaffee schmeckt prächtig, der Freund bestellt sich ein zweites Bier, er ist ein freundlicher konzentrierter kluger und kontrollierter Alkoholiker.

„Red nur weiter.“

„Der Biller ist ein jammernder Poseur mit kleiner Courage. Der Mut in seinen Büchern, den holt er sich doch aus dem Elend anderer Menschen. Empathie hat der Biller doch nur, wenn er seine eigene Empathie besingt.“

„Sing doch weiter, Du Empathiker.“

Der Freund lächelt so bezwingend, dass sich jeder Zorn verflüchtigt.

„Hast recht. Ich muss nicht neidisch sein. Ist doch okay, wenn er nicht mehr schreiben will. Und wenn er jetzt laut furzt, ist es auch okay.“

Die Friedfertigkeit des Freundes wächst und wächst. Schließlich sagt er:

„Ich erzähl‘ Dir jetzt mal eine Geschichte aus meinem Kiez. Da bin ich im Supermarkt und mach‘ so mein Ding. Ich komm‘ um die Ecke und schau in die Reihe mit den Nudeln. Da steht einer, der es nicht mehr halten kann und pisst in die Spaghetti. Und was soll ich Dir sagen: War ein ziemlich bekannter Schriftsteller. Ich habe meine Karre weiter geschoben und gedacht:

Arme Sau!“