DEUTSCHLAND

scheisszeitenwende 3

DEUTSCHLAND, TAG, DRAUSSEN UND DRINNEN

An der Regattastrecke bei Dachau ist im glasklaren Wasser ein Fischsterben im Gang. Verkrümmte Leiber von großen Karpfen zersetzen sich auf dem sandigen Boden, die noch lebenden Tiere stehen senkrecht an der Oberfläche und schnappen mit Mäulern nach Leben – aber es ist nur die Luft des frühen Morgens, die sie derschnappen; gleich geht eine glutrote Sonne auf und wird die Strecke in einem geheimnisumwitterten Licht baden. Es ist noch winterkalt am Morgen; der alte Mann, der sich mit seinen zwei Einkaufsbeuteln vorwärts müht, stößt kurze Atemfahnen aus. Er schleppt sich von Abfalleimer zu Abfalleimer. Sieht sich um, keiner da, der ihm zuschauen würde, der alte Mann beugt sich über den Müll und greift dann hinein. Er führt die Hand vorbei an den verknoteten, mit Hundescheiße gefüllten Plastikbeutelchen, und fischt eine leere Dose aus den Abfällen. Der alte Mann ist seit zwei Stunden unterwegs – einmal um die Ruderstrecke, macht vier Kilometer – und hat alle Mülleimer untersucht. Jetzt sind seine Taschen gefüllt, bringt gut zehn Euro, hilft über den Tag. So ist das.

Im Radio sagt einer, wir sollen den Russen den Gashahn abdrehen und nicht warten, bis er das mit uns tut. Einer Anderer meint, das müsse man sich gut überlegen. Eine Rede des Ministerpräsidenten – Markus Söder heißt er – wird eingespielt; der Söder sagt, dass wir ganz schnell zu sozialen Härtefällen werden, wenn wir nicht Obacht geben. Wir müssen unser „Business Deutschland“ schützen. Sagt er.

Der deutsche Minister Habeck wird gefragt, ob er Angst habe. Nein, sagt er. „Sorge, das passt besser. Konzentration, Ernsthaftigkeit, ein Bewusstsein dessen, was hier gerade passiert. Es gibt im Moment keine Leichtigkeit.“ Sagt er.

In der Bäckerei ist alles teurer geworden. Eine hübsche Schwangere, im Schlepptau den schweigsamen Mann, kauft fürs Frühstück ein. Der Mann hat keine Arbeit, da kann man sich Zeit für einen Brunch nehmen. Die Frau singsangt beim Einkauf jedes Wort, die letzte Silbe intoniert sie mit ansteigender Lautstärke und schraubt die Stimme dabei um eine Oktave nach oben. Die ganz Bäckerei vibriert. Es klingt nach Sirene – oder wie jaulendes Lamentieren.

„Zwei KaiserSÄMMELN!“

„Drei BREEZN!“

So a LaugnSTANGERL! Na, gebn’S mir besser ZWEI! Zwei LaugnSTANGERL!“

„Drei KRUUSTI!“

„Dann hammas“, sagt sie und ist endlich still. Herrlicher Friede an der Theke.

In zwei Monaten wird sie wohl entbinden. Dann muss ein neuer Mensch zwei Jahrzehnte lang ihr Gejaule ertragen.

„Tu amal Dein Zimmer aufRÄUMEN!“

„Ich sags net zweiMAL!“

„Hast Du sie gmacht, die HausAUFGABEN? Ned? Dann aber DALLIDALLI!“

„Immer das GLEICHE mit Dir. Immer das GLEICHE. Du machst mich noch ganz NARRISCH.“

Armes ungeborenes Kind. Lebst in der Zeitenwende – und hast diese Mutter.