STOP PUTIN

scheisszeitenwende 1

Am Tag, als die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking endeten – es war der 20. Februar, eine gleißende Sonne beschien die frostigen Wettkampfstätten -, hatten Journalisten in aller Welt Schiss:

„Krise: Die Angst vor einem russischen Militärschlag wächst“ (Le Monde)    xxx   „In der nächsten Woche droht das Worst Case Szenario“ (The Guardian)   xxx   „Wie man Putin stoppt“ (FAZ am Sonntag)   xxx  „Selensky: Die Architektur des Friedens bröckelt“ (Istvetja)   xxx   „Düstere Prognose von Nato-Chef Stoltenberg: Alles spricht für Russlands vollständigen Angriff auf die Ukraine“ (Bild)   xxx   „Bangen um den Frieden“ (Süddeutsche Zeitung)   xxx  „Keine falsche Bewegung“ (Der Spiegel)

Das war ein Sonntag. Am Donnerstag drauf war Krieg.

Alle reden seither von der „Zeitenwende“. Ukrainische Sportler, die bei den Spielen noch am Start waren, kämpfen jetzt an der Front um die Freiheit ihres Landes oder machen sich als Reservisten bereit, in einen Krieg zu ziehen, den der russische „Präsident“ Putin vom Zaun gebrochen hat. Ein junger Biathlet ist gefallen.

Olympische Spiele scheinen wie aus einer anderen Zeit. Momentan, Anfang März, wetteifern in Peking die Paralympier – das interessiert im Augenblick niemanden.

Sport ist in diesen Tagen nicht die „schönste Nebensache der Welt“.

Es gibt keine schönen Nebensachen.

Aber gerade wenn das stimmt mit der „Zeitenwende“, dürfen die „Spiele“ von 2022 nicht vergessen werden. Sie sind ein Event gewesen, aus dem der Sport die Lehren ziehen muss.

Olympia ist nun endgültig am Scheideweg.

Rückblende.

Der oberste Olympier heißt Thomas Bach und ist ein umstrittener Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Bei der Eröffnungsfeier in Peking gab er sich salbungsvoll und väterlich:

„Liebe Athleten hier: Nun ist Euer Moment gekommen. Jetzt wird Euer Traum vom friedfertigen Olympia wahr. In unserer heiklen Welt zeigen wir: Ja, es ist möglich, dass Menschen erbittert miteinander ringen und doch in gegenseitiger Achtung zusammen leben.“

Bach erinnerte an die „olympische Waffenruhe“ und an den „olympischen Geist des Friedens“.

Dann erklärte Chinas Präsident Chi die Spiele für eröffnet.

Die Olympische Fahne wurde hochgezogen, das Olympische Feuer angezündet.

Der Sport konnte beginnen.

Bei der Eröffnungsfeier saßen, die meiste Zeit schweigend und wie eingefroren, 35000 Menschen im Stadion. Es waren geladene Gäste – vielfach-getestet, mehrfach-geimpft, die meisten haben sich als Funktionäre um China verdient gemacht.

Sie jubelten und schwenkten Fähnchen im Dreivierteltakt, als die chinesischen Sportler ins Stadion kamen. Sie jubelten ein wenig, als die Russen einmarschierten. Der Fernsehregisseur zeigte in diesem Moment freundliche Athleten, schwenkte ins applaudierende Publikum, kurz waren IOC-Boss Thomas Bach und der chinesische Präsident Xi Jinping zu sehen.

Nicht gezeigt wurde Wladimir Putin. Der hatte tagsüber noch im staatlichen Gästehaus Diaoyutai mit Xi Tee getrunken, auf die USA geschimpft und über die „noch dagewesenen engen Beziehung zwischen China und Russland“ geschwärmt – und sollte wohl im Stadion sein. Im Fernsehen war er nicht zu sehen. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei dachte.

Es wurden die perfektesten Winterspiele aller Zeiten. 109 Sätze Edelmetall wurden an die Besten der 2900 Athleten vergeben. Alles lief wie am Schnürchen. Corona blieb außen vor – geschlossene Veranstaltung. Wer hustete, flog. Olympia war eine perfekte Blase.

Und die Spiele waren ein Milliardengrab. Offiziell nennt die chinesische Regierung Gesamtkosten von 3,9 Milliarden Dollar. Ernsthafte Experten schätzen die Summe auf das Zehnfache, zumal China offenbar Kosten für Infrastruktur aus der Gleichung nimmt und nur einige der neuen Sportstätten durchkalkuliert.

Fünf Milliarden hatte es gekostet, einen Biathlon-Park und zwei Monsterschanzen in die Mondlandschaft von Zhangjiakou zu betonieren. Die Bobfahrer und Rodler starrten ungläubig auf eine vom ersten bis zum letzten Meter überdachte und teils mit einem gigantischen Hotel überbaute Bahn, die ihresgleichen nicht auf der Welt hat und deren Erbauer – ein verschmitzter Schwabe – sich immer eins grienen muss, weil ihm mit dieser Halb-Milliarden-Anlage ein einzigartiger Coup gelungen ist. Solche Dinge lassen sich nur planen und bauen, wenn die Auftraggeber sich komplett dem Größenwahn hingegeben haben. 

Die Spiele hatten ihre Helden. Freestyle-Ski-Girl Eileen Gu – eine Amerikanerin, die zur chinesischen Bürgerin geworden ist – verzückte mit ihren Sprüngen, und ihrem Lächeln alle, gewann zweimal Gold und einmal Silber und wurde zum „Gesicht der Spiele“. Die deutsche Rodlerin Natalie Geisenberger siegte in Peking gleich dreimal (mehr ging nicht) und ist seither Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin…

Die Spiele hatten ihr menschliches Drama. Nach tagelangem Wirbel um ein Dopingvergehen durfte die russische Eiskunstläuferin Kamila Valijeva im olympischen Damen-Einzel starten. Das Hickhack und der Trubel hatten die 15-Jährige „Eisprinzessin“ völlig aus dem Tritt gebracht. In der Kür strauchelte sie von Sturz zu Sturz, weinte schon vor der letzten Pirouette, wurde nur Vierte.

Ihre Trainerin Eteri Tutberidse empfing die aufgelöste Läuferin mit Vorwürfen (die Kamera und das Mikro waren hautnah und live dabei).

„Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört, zu kämpfen?“, belferte Tutberidse – eine blonde Zuchtmeisterin, die auf ihre Gnadenlosigkeit stolz ist. „Erklär mir das! Nach dem Axel hast du es aus den Händen gegeben.“

Im Gesicht des Mädchens war nur noch blankes Entsetzen.

Was für eine traurige Geschichte!

Da meldete sich auch der Ober-Olympier zu Wort.

Ansonsten ist Thomas Bach ein Meister der Diplomatie, doch das tragische Schauspiel um Eiskunstläuferin Kamila Valieva rief den Sportler in ihm auf den Plan.

Auf einer Pressekonferenz teilte er aus. Er sei „sehr enttäuscht und verstört. Statt sie zu trösten, statt ihr zu helfen, nach alldem, was geschehen war, konnte man spüren, wie eiskalt die Atmosphäre war. Kann man denn als Trainer so gefühlskalt sein gegenüber den eigenen Sportlern? Ich bin entsetzt.“

Valieva wünsche er nun, „dass sie Unterstützung bekommt, die Unterstützung ihrer Familie, die Unterstützung von Freunden und schlussendlich von Menschen, die ihr helfen, diese enorm schwierige Situation hinter sich zu lassen.“

Wohl gesprochen!

Es dauerte nicht lang, bis dem IOC-Chef seine Courage um die Ohren flog.

Russlands Vize-Ministerpräsident Dimitri Tschernischenko wurde informiert, dass der werte Herr Bach sich zur Causa Valieva geäußert habe. Man war darob überhaupt nicht amüsiert.

„Wir sind zutiefst enttäuscht darüber, einen IOC-Präsidenten zu erleben, der sein eigenes fiktives Narrativ zu den Gefühlen unserer Athleten spinnt und diese dann öffentlich als Stimme des IOC präsentiert“, schimpfte Tschernischenko.

Im Verlauf des Gesprächs mit dem Branchendienst „insidethegames“ redete sich der Russe immer weiter in Rage.

Im Fußball würde man sagen: Der Russe zeigte dem Sport-Funktionär Bach eine Gelbe Karte.

Er habe sich nicht einzumischen, er und seine Olympier mögen sich weiter hübsch raushalten.

Aus allem.

Und so endeten die Spiele irgendwie, wie sie begonnen hatten. Trotz allen tollen Sports blieb da so ein seltsames Gefühl…

Die Athleten-Tausendschaft flog nach Hause. Zurück in den Alltag. Die letzten Wettkämpfe der Saison standen an. Dann ein bisschen Urlaub, dann das Sommertraining. Familie. Sponsoren. Die nächste Saison. Sport, immer Sport.

Und in vier Jahren würden die nächsten Spiele sein. Das ist das Höchste für einen Athleten überhaupt.

Aber kaum waren sie zuhause und freuten sich über die Welt im Allgemeinen und den Sport im Besonderen – Olympia 2022 war gerade mal vier Tage vorbei -, erklärte Wladimir Putin der Welt den Krieg.

„Zeitenwende“ fühlt sich furchtbar an. Es ist letzte Zeit zu lernen. Auch bei Olympia.

Das Buch über die Olympischen Spiele von Peking ist im „Werkstatt Verlag“ erschienen