LAUF-LUSCHE

Startschuss: 17. August 2019, 6.00 Uhr. Zielschluss: 18. August 2019, 12.00 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer zu Fuß rund um Berlin. Das Event heißt “Mauerweglauf”. In “Vettensjournal” das Protokoll der Vorbereitung. Es beginnt am 9. März 2019 und endet am 17. August: 22 WOCHEN. 

Krohn notiert, 10. August

In einer Woche ist „Mauerlauf“, es ist der Tag der Generalprobe. Ich versemmle sie völlig.
Der Reihe nach.
Verständnislos beobachtet Sabrina, wie ich abends die Laufsachen und den Rucksack bereit lege. Was das denn nun solle?
„Ich fahre in die Berge und mache Sport.“
„Wann fährst Du in die Berge?“
„Jetzt.“
„Hans es ist zehn Uhr in der Nacht.“
„Eben. Beim Mauerlauf muss ich auch durch die Nacht.“
Sie ist sauer. Weil sie sich Sorgen macht, weil sie nicht allein bleiben will, weil ich das nicht besprochen habe.
Ich fahre im Unfrieden.

Es ist eine schwüle Nacht. Die ersten 30 Kilometer sind fast flach, als dunkle Scheme sehe ich lange den Berg vor mir, über den ich zum Schluss muss.
Ich laufe am Friedhof vorbei, auf dem die Eltern begraben sind.
Kann mir vorstellen, wie der Vater sich an die Stirn tippt, weil er der „Sport ist Mord“-Typ ist. Die Mutter hingegen interessiert sich für den Nachtlauf, sie hat selbst derartige Dinge getan.
Auf den Berg, über den ich muss, sind wir wieder und wieder gegangen. Haben über Gott und die Welt geredet, alles war immer ganz unschwierig. Noch mit 70 ist die Mutter den Berg hoch wie eine Gämse.

Der Anstieg beginnt mit einem sehr steilen Forstweg. Ich bin gerade mal eine Minute in der Rampe, da beginnt es zu regnen, später rumpelt ein Nachtgewitter über den Wald. Alles sehr laut und sehr ungut. Im Nu bin ich klatschnass und habe das letzte Quentchen Rhythmus verloren.
Ich schnaufe schwer, die Beine schmerzen, die Schritte machen furchtbare Mühe.
Nach dem ersten Anstieg wird das Gelände flacher, dann kommt wieder ein Kletterstück, hernach geht es durch ein langes flaches Bergtal. Und am Ende beginnt der harte Teil.


20 Minuten Bergauf-Rennen, bis die Lunge zu bersten droht. So habe ich das früher gemacht.
Nun stapfe ich, wütend über meine Schwäche, so schnell ich kann. Brauche fast eine halbe Stunde. Oben stütze ich keuchend die Hände auf die Oberschenkel und bin alt. Es braucht Zeit, bis ich mich umziehen kann.
Dann der Abstieg. Sieben Kilometer durch unwegsamen Wald. Balancieren zwischen Wurzeln und großen Steinen. Kriechen unter umgefallenen Bäumen. Ein paar Felsbänder. Rutschpartien im Schlamm. Es gewittert wieder.
Als ich ins Tal komme, ist es acht Uhr morgens. Ich jogge auf der Forststraße zum Parkplatz. Rucksack auf den Beifahrersitz. Trockenes T-Shirt angezogen. Wasser. Mineraldrink. Koffeinhaltiges.
Ich fahre los. Die ersten 30 Kilometer sind identisch mit der Laufstrecke. Ich komme an die Stelle, an der die kleine Straße zum Berg abzweigt. Bleibe stehen und schaue nach oben.
Keine Zufriedenheit, nur Frust. Der Gipfel, tausend Höhenmeter über mir, sieht unfreundlich aus. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass ich jetzt noch einmal da rauf müsste.
Das sollte ich aber wohl schon können, wenn ich den „Mauerlauf“ machen will.
Ich bin untrainiert, langsam, entmutigt.
So wird das nichts mit dem „Mauerlauf“.
Kaufe an der Tanke einen Kaffee, fahre missmutig aus den Bergen hinaus. Komme schlecht gelaunt zuhause an. Sabrina ist immer noch sauer.
Wenn ich so weiter mache, setze ich das Ding in den Sand.