LAN-GEWEILE

TANZ DER VIREN II, Folge 89

Das ist so eine Sache mit dem Zuhören. Draußen in der Welt können sie das nicht, die Menschen. Sie hören sich selbst reden und finden das wunderbar, das Gequatsche von den Anderen interessiert sie nicht.

Wenn Du aber in der Geschlossenen landest und nicht ganz irre bist, hast Du es schnell mit einer ganz ganz großen Langeweile zu tun. Die Zeit zerrinnt wie in so einem seltsamen Bild von diesem Maler mit dem Schnauzbart – da schmelzen die Uhren oder sie werden zum Trocknen auf die Leine gehängt. Egal: Die Zeit wird zäh wie Kaugummi, der Minutenzeiger fängt das Lallen an; vor lauter Langeweile weißt Du nicht mehr, was Du gerade getan hast und was Du gleich tun willst, Du tust rein gar nichts, Du langweilst Dich halt, und es nimmt kein Ende.

Wenn Du dem nicht mehr auskommst, weil sie Dich nicht raus lassen aus der Geschlossenen, beginnst Du, den anderen Patienten zuzuhören, wenn sie gegen ihre Langeweile anreden.

So kommt es, dass die Lina, der Josef und der Jeremy sehr aufmerksam sind, als der Franz sagt, „25 Minuten – dann geht es weiter zum Nächsten, der stirbt“.

LINA: Wie meinst des?

FRANZ: Ich habe da auf der Bank am Berg gehockt und übers Sterben nachgedacht. Die Leute, die von der blonden Pflegerin besucht werden, haben keine Chance mehr. Jeden Tag kriegen sie eine halbe Stunde Besuch, dann verschwindet die Frau bis zum nächsten Tag und lässt sie allein. Sie können sich nicht mal mehr umbringen, weil sie zu schwach sind. Da habe ich drüber nachgedacht, und es war ganz schlimm.

JERMEMY: Ich verstehe ihn. Wenn man jetzt draußen ist, dann muss man auf solche Gedanken kommen. Ich kann es ja nicht so genau beurteilen – aber ich habe das Gefühl, da draußen geht grad die Welt unter.

JOSEF: Kann schon sein. Ich bin froh, dass ich hier bin.

LINA: Gell? Das mein‘ ich auch. Wir haben doch alles, was wir brauchen. Kriegen unser Essen, haben unsere Ruhe. Keiner will was von uns. Wir können es uns hier doch schön machen. Und von der Krankheit kriegen wir nix mit. Wer soll uns schon anstecken?

FRANZ: Ja, wenn man die Menschen in der Stadt anschaut, muss man fast erschrecken. Man erkennt sich nicht mit ihren Masken – ob sie überhaupt noch froh sind, kannst nicht sehen. Aber mit ihren Augen lachen sie nicht, in den Augen haben sie Angst.

JEREMY: In den Augen haben sie Angst! Schmarrn – wie willst das denn erkennen?

FRANZ: Na, die Augen sind riesig. Und sie schauen immer von links nach rechts und von rechts nach links. Als ob von allen Seiten eine große Gefahr kommen würde.

JEREMY: Jaja, red nur!

LINA: Ist doch auch wurscht. Ich bin jedenfalls froh, dass wir hier an einem sicheren Platz sind.

JOSEF: Und was, wenn wir wieder raus kommen?

JEREMY: Glaubst Du, sie lassen uns so schnell wieder raus? Vergiss‘ es. Hier kommt kein Neuer rein und keiner raus. Die werden uns pfeilgrad vergessen, wenn es so weiter geht.

LINA: Auch egal. Dann machen wir Party. Party. Party. Sooft es geht. Interessiert eh keinen.

FRANZ: Und feiern tun wir, dass wir weg gesperrt sind von dem ganzen Irrsinn.

JOSEF: Das ist ein Wort.

© BILDKUNST JOHANNES TAUBERT