DRAUSSEN SEIN

START DER VIREN II, Folge 98

Torsten ist ein überraschender Mann. Er führt sie nicht zu einem der Biergärten im Park, wie Hatice vermutet hat. Sie verlassen den Englischen Garten und steuern in Bogenhausen eine unscheinbare Bäckerei in der Nähe des Kufsteiner Platzes an. Vier kleine Tische stehen dort auf dem Trottoir, niemand sitzt dort, weil das Wetter so ungastlich ist.

Sie betreten die Bäckerei. Hatice begleitet Torsten, man hat sich auf Kaffee und Kuchen geeinigt.

„Servus“, sagt Torsten. „Stimmt es, dass man wieder draußen sitzen darf?“

„Ja“, meint die Verkäuferin. „Gut, gell?“

„Toll. Was magst, Hatice?“

Einen Milchkaffee und Apfelstrudel. Er schließt sich an. Man balanciert das Bestellte an einen Tisch auf dem Bürgersteig. Man setzt sich. Hatice wickelt sich eine Decke, die auf dem Stuhl gelegen hat, um die Hüfte. Weil ihr so wohl ist, seufzt sie. Torsten sieht sie an und ist froh.

„Das erste Mal?“

Er denkt nach.

„Du meinst, das erste Mal, dass ich wieder in einem Café sitze?“

„Ja.“

„Ja, ich habe mir gedacht, dass ich damit warte, bis wir uns treffen.“

„Schön. Für mich auch das erste Mal.“

„Seit wann jetzt?“

„Wart mal. September? Nein, Oktober war’s. Sieben Monate macht das. Stell‘ Dir vor: Sieben Monate.“

„Genau. Sieben Monate. Das ist eine lange Zeit.“

Sie seufzt wieder. Trinkt einen Schluck. Dann sagt Hatice, das sei wahrscheinlich der beste Kaffee, den sie in ihrem Leben bekommen habe. Der allerbeste Kaffee.

Auf der Mauerkircher ist stadtauswärts reger Verkehr, die Leute fahren von der Büroarbeit nach Hause. Am Obststand gegenüber stehen immer zwei Kunden in der Schlange, der Verkäufer macht gute Geschäfte. Es regnet wieder leicht, das stört Hatice und Torsten nicht, sie sitzen unter einem Vordach, der Apfelstrudel ist warm, die Vanillesoße süß und gelb. Bald soll das miese Wetter zu Ende sein, dann kommt Sonne, man kann auf der Wiese liegen, man kann in die Berge oder an den See fahren, die Biergärten sind offen, es gibt Kinos, Torsten und Hatice haben (ist das nicht wunderbar, wie eine Fügung ist das!) Abos beim McFit, sie können gemeinsam ins Studio, schon ganz bald wird das sein, sie könnten auch vögeln, weil sie es wollen.

Der beste Kaffee des Lebens.

Torsten bittet um Entschuldigung, er verschwindet in der Bäckerei. Verwundert sieht ihm Hatice nach.

Torsten geht an die Theke und fragt die Verkäuferin, wie es ihr gehe. Sie nickt. Passt schon. Geht besser – jetzt, wo die Große Krankheit nicht mehr ganz so bedrohlich ist. Torsten hat immer wieder mit ihr geredet, wenn er in den letzten Monat einen Kaffee im Pappbecher gekauft hat. Er weiß, sie hat zwei Kinder, sie ist aus dem früheren Jugoslawien, der Mann ist davon gelaufen, seit eineinhalb Jahren war sie nicht mehr in der Heimat.

Er möchte nichts kaufen. Torsten legt einen Fünfziger in die Geldschale auf dem Tresen.

„Das ist für Dich. Weil heute heute ist. Für den ganzen Winter ist das.“

Ihre Augen schauen auf den Schein. Nein! Sagt sie. Nein1

„Doch“, sagt er. „Doch.“

Aus ihren Augen kommen ein paar Tränen und verschwinden unter der Maske. „Weißt, was ich mache?“

„Nein.“

„Nach Feierabend gehe ich und kaufe Geschenke für die Buben. Ach Gott.“

„Das machst.“

Torsten verlässt den Laden und setzt sich neben Hatice.

Was für ein Glück, was für ein Glück, was für ein Glück.

Der beste Kaffee der Welt.

© BILDKUNST JOHANNES TAUBERT