DICKER SCHÄDEL

münchen/berlin, 3. Dezember 2016    —-   Ist der FC Bayern in der Krise? Das behaupten zumindest die Schwarzseher unter den “Fachleuten”. Und sie machen als Schuldigen den Coach Carlo Ancelotti aus. Doch der Trainer steht weiter unter Beobachtung. Ihn  wird das nicht sehr stören. Solche Situationen kennt er. Der Italiener hat sich an das Leben “in dünner Luft” gewöhnt. Einer wie er ist aus hartem Holz. Und er kann sich auf seine Wurzeln verlassen.

Carlo, die Wurzeln, Folge I (aus “Carlo Ancelotti – die Biographie”, erschienen 2016 im Riva Verlag).

 

 

„Eine kleine Welt. Ein Landstädtchen irgendwo in der Po-Ebene. Jeder schlägt sich herum, um die Welt nach seiner Fasson zu ändern. Und es geschehen hier Dinge, die nirgendwo sonst in der Welt möglich sind.“

Die Kamera fährt in den menschenleeren Straßen des lichtdurchfluteten Brescello spazieren, wir folgen ihr aufs Land und über die Äcker und die weiten flachen Felder vor dem großen Fluß. In der Tat sind das Bilder einer kleinen Welt, die sich um sich selbst dreht.

„Eine kleine Welt. Ein Landstädtchen, irgendwo in Norditalien. Im Winter erschauert man unter der Herrschaft des Regens, im Sommer aber schwingt die Sonne ihr Strahlen-Szepter, entzündet die Leidenschaften und bringt das Gehirn zum Kochen. Doch in der klaren Helle bewahren selbst die ärgsten Konflikte noch einen Hauch von Liebenswürdigkeit. Man zankt sich, man schlägt sich – aber man bleibt Mensch.

Und so können hier Dinge passieren, die nirgendwo sonst in der Welt möglich sind.“

So beginnt eine Reihe von Verfilmungen der herrlichen Erzählungen eines eigenwilligen Satirikers, Karikaturisten und Widerborstigen aus der Region. Giovannino Guareschi hat mit „Don Camillo und Peppone“ Weltliteratur geschrieben. Es geht um einen erzkatholischen Pfarrers und seinen kommunistischen Widersacher – der eine Pfaffe, der andere Bürgermeister –, die sich schlagen und vertragen. Sie können nicht miteinander – und ohne einander geht es erst recht nicht. Zwischendrin hält Don Camillo auch gerne mal einen Schnack mit dem geduldigen freundlichen Jesus am Kreuz.

Das Ganze ist fromm und eigensinnig, dickschädelig und sehr menschlich. Es wird gevöllt und pokuliert, gelacht und geweint, geliebt, gelebt, gestorben – und am Lagerfeuer werden dann die dicken Friedens-Zigarren geraucht. Manchmal steigen die Gegner auch in einen Boxring oder spielen Fußball auf der Wiese.

Das ist ein Abziehbild der Heimat des Carlo Ancelotti. Es nimmt denn auch nicht Wunder, dass er – da ist er schon ein Fußballstar – eine Nebenrolle an der Seite von Terence Hill in einem Klamauk-Streifen mit dem Titel „Don Camillo haut auf die Pauke“ bekommt.

Da nietet der kurz behoste dünne Carletto alles nieder, was fremde Trikots trägt. Das reicht locker für ein Dutzend Platzverweise.

Aber zurück in die Urzeit der „Camillo“-Streifen: In dieser Welt wird am 10. Juni 1959 in Reggiolo – das ist wirklich nicht weit von Brescello – Carlo Ancelotti geboren.

Er wird nie viel aus dieser Zeit öffentlich machen. Privates bleibt bei Ancelotti privat. Erstaunlicherweise öffnet sich da der Italiener am bereitwilligsten, als er im „Exil“ Chelsea London trainiert. Da erzählt er schon mal in lockerer Runde und einem Anflug von Heimweh nach dem Training, wie das damals gewesen ist.

Die Wurzeln stecken tief in emilianischer Erde. Ancelottis Vater war Bauer, er kann sich an den Mann eigentlich nur als harten Hand-Arbeiter erinnern. Das kannte man auch gar nicht anders zuhause. Vater Ancelotti, die Nachbarn, die Menschen aus den Dörfern ringsum waren gefangen in einem Hamsterrad der Pflichten. Morgens in den Stall, das Vieh versorgen, die Kühe melken, ausmisten, kleines Frühstück, weiter in der „Mühle“: die Felder bestellen, am Parmigiano werken, schlachten, das Schweinerne verwursten, Abendarbeit im Stall, zwei Glas Wein und ein Blick in die Lokalzeitung. Bett. Am nächsten Morgen das gleiche Programm. Wieder und wieder – und keinen Tag Urlaub. Zweimal Melken pro Tag, die Hühner versorgen („die größten hat dann immer der Landeigner bekommen“), den Garten machen, das Werkzeug in Ordnung halten.

„Als ich ein kleiner Junge war, lebten wir mit vier oder fünf Familien zusammen.  Man bewohnte unterschiedliche Häuser, bewirtschaftete aber gemeinsames Land.“ Die Erwachsenen hätten sich vor allem die Hände schrundig und die Rücken krumm gearbeitet. „Aber es gab auch Freudentage. Das Erntedankfest, ach das war so eine wundervolle Party auf dem Lande.“

Diese immerwährende Arbeit! Wie sollte ein Junge das nachvollziehen? Warum sollte er sich auch groß Gedanken machen. Carlo entdeckte, dass zu den Freuden des Alltags eben auch das Hinter-einem-Ball-her-Jagen  gehört. Und er spürte, dass er dabei erfüllende Erfolgserlebnisse hatte. Er konnte das Kicken einfach gut

„Der Vater hat mich gelassen. Sein eigenes Leben hat er so hingenommen, wie es war. Er hat sich nie, nie, nie beschwert. Zornig, er? Niemals.“

Ja, das weiß der heute fast 60-Jährige Carlo Ancelotti: Seinen Charakter hat er vom Papa. „Er war ein ruhiger Mensch, hat nicht viel geredet. Er war sehr gelassen. Ich führe ein ganz anderes Leben als er. Und trotzdem gibt es so viele Ähnlichkeiten.“

Ja, wenn er es recht bedenkt, dann hat der Trainer Ancelotti einiges mit einem guten Bauern gemein. Der Farmer versorgt das Vieh und die Äcker, er milkt, macht Käse und Schinken, er erntet. Dafür bekommt er seine Lire.

Der Trainer kümmert sich um die Spieler und er bereitet das nächste Match vor. Er tüftelt eine Strategie aus und fährt Siege ein.

Säen und ernten, das ist es. „Wer da nicht sauber plant und wem die Luft weg bleibt, der wird verlieren. Es sind die Tugenden meines Vaters, die einen Sieger ausmachen. Freundlichkeit. Optimismus. Gelassenheit. Wille. Ausdauer.“ 

 

 

 

Carlo Ancelotti liebt die Lieder des Adriano Celentano.

Der Italo-Sänger wird 1938 in Mailand geboren. Seine Eltern waren kurz vor der Geburt des Sohnes aus dem armen italienischen Süden in die Region gezogen, um dort Arbeit zu finden. Adriano Celentano wächst zu einer Zeit auf, in der mit Stars wie Elvis Presley erstmals Rock’n’Roll in die Haushalte gelangt.

Was Ancelotti an dem Sänger mag, ist wohl vor allem dessen „talianità“. Der ragazzo lässt sich nicht unterkriegen.  Uhrmacherlehre nach wenigen Schuljahren – dann spürt Adriano diesen Ehrgeiz, nach oben zu kommen. Spindeldürr und alles andere als ein mediterraner Schönling, rackert er als Komiker und Imitator mit Knautschgesicht und Fernandel-Lächeln (Fernandel ist übrigens der klassische „Don-Camillo“-Darsteller).

Celentano hat keine Chance. Aber er wird zum Star.

Morgen: Die Wurzeln II