DER SKI-“KAISER”
münchen, 2. februar 2015
“Für mich ist wichtig, dass ich das, was ich tue, genießen kann.” Wenn Felix Neureuther solche Sätze formuliert, wird er ungewöhnlich ernst. Neureuther, der Gaudibursch aus Garmisch, hat in den ersten 31 Jahren gelernt, wie schwer es ist, zur Leichtigkeit des Seins zu finden. Jetzt ist er bereit für ernsthaften Spaß. Jetzt will der momentan beste Slalomfahrer des Globus in Vail Weltmeister der Alpinen werden. “Das wäre das Größte. Es geht nicht nur um den Erfolg, es geht auch um andere Dinge: Freundschaften. Lachen. Ab und zu ein Glück.” Nicht mehr. Und nicht weniger.
Kurz vor dem Einchecken macht der junge Mann noch einmal schnell “ein Fass auf”: Er wurschtelt die Skischuhe aus dem Gepäck, postiert sich fotogen vor der Abflugtafel im Münchner Airport und knipst sich. Flink die Daten verarbeitet und die Welt geschickt.
Bin am Flughafen angekommen. Los gehts zur WM nach Vail!!!
455500 Menschen “gefällt”, was sie da lesen. Der Bursch hat seinen Flieger bestiegen, er wird in Bestform in den Staaten ankommen – und diesmal kann er es endgültig vollbringen:
Er hat’s drauf, bei einem ganz, ganz wichtigen Wettkampf Bester von allen zu werden.

Verdient hat er es. Das wissen die Trainer und die Konkurrenten. Das wissen Freundin und Eltern (selbst hoch dekorierte Skistars) und die Fans. Und das weiß vor allem er selbst. Entspannt ist er und gleichzeitig konzentriert wie nie zuvor.
Er lächelt viel in diesen Tagen – weil ihm nach Lächeln ist.
Dieser Felix Neureuther hat derzeit den geschmeidigsten “Lauf”, seit er sich erinnern kann. Und vielleicht ist er gerade mit sich im Reinen, weil er genau weiß, wie es ist, wenn man sich mit Widerständen und Zweifeln abplagen muss.
Er ist oft verletzt gewesen in den letzten Jahren. Es gab Monate, da bereitete das Aufstehen Schmerzen, da war Trainieren ein Ringen mit dem revoltierenden Körper. Es gab die Phasen, in denen der Slalomfahrer Neureuther regelmäßiig mit Bestzeit aus dem ersten Lauf in den zweiten Durchgang gestartet ist und sich dann selbst aus dem Rennen warf. Eingefädelt. Vorbeigefahren. Abgehoben und bruchgelandet. Verbremst.
Es gab ein paar dunkle Wochen, in denen er den ganzen Leistungssport-Krempel hin schmeißen wollte. Da hat er sich – es ist ziemlich genau zwei Jahre her – verkrochen und eine Inventur in Sachen Neureuther gemacht.
“Lohnt sich das noch? Habe ich mich gefragt. Das Maximale aus dem Körper herauszuholen? Das ist ja nicht nur im Sommer- und Skitraining der Fall, sondern du musst den ganzen Aufwand bewältigen. Ich fahre über 25 000 Kilometer im Jahr nur zu Physiotherapeuten, um behandelt zu werden. Dann legen wir Skifahrer viele Tausende Kilometer im Jahr zurück, um zu Rennen zu fahren. Die ganze Reiserei, im Endeffekt immer nur aus dem Koffer leben – das sind alles so Sachen, die einen mit der Zeit irgendwie auch müde machen.
Und damals war ich nicht müde, ich war leer. Ich bin mit dem Hund auf die Hütte meines Onkels, habe gelesen und Musik gehört. Bin durch den Schnee gelatscht, habe die Sonne genossen und die Natur und habe wieder angefangen zu spüren, wie schön alles ist. Da kam dann auch bald wieder die Erinnerung ans Skifahren. Diese vielen einzigartigen Momente. Die Spezl, mit denen ich meinen Spaß habe. Das Gefühl, ganz oben zu stehen – und unten jubeln Dir Tausende zu, weil Du es am besten gemacht hast. Das, was keiner beschreiben kann: das, was nach einem perfekten Lauf in Dir abgeht.
Da hab’ ich vor der Hütte gesessen und gewusst: Solange die Freude überwiegt, das noch machen zu dürfen, gibt es kein Nachdenken. Dann muss ich weiter tun.”
Jetzt ist seine Hoch-Zeit da. Er bewegt sich scheinbar spielerisch zwischen den Stangen. Nichts fällt schwer. Genießen? Na klar! Mehr, mehr, mehr!

“Ich bin noch nie so beschwerdefrei und ohne Schmerzen zu einer WM gefahren. Aber es ist immer ein Kampf, weil die Belastung sehr, sehr groß ist. Du musst permanent dranbleiben und schauen, dass das und jenes nicht mehr weh tut. Aber es macht mir so viel Spaß, und ich liebe es, meinen Körper ans Limit zu bringen.”
Kürzlich war nach dem Slalom in Zagreb der Interviewer von ORF 1 verschwunden – da schnappte sich Neureuther kurzerhand das Mikro: “So, nachdem jetzt keiner hier ist, stelle ich die Fragen und antworte auch.” So hat er’s gemacht. Wollte von sich wissen, ob er zufrieden mit seinen Fahrten gewesen sei. Ja, war er. Was er zur Konkurrenz zu sagen habe? Nette Burschen san des, ganz nette Burschen, man kann seine Gaudi mit ihnen haben. Wie er denn seine Chancen bei der Weltmeisterschaft sehe? “Ja mei”, antwortete da der grinsende Felix dem grinsenden Felix, “schlecht san’s net, die Chancen. De Andern fahr’n auch gut, da kannst nix sag’n. Aber SCHAUN MER MAL.”
Jetzt hat er sie, der Felix Neureuther: die Leichtigkeit eines Sport-“Kaisers”.
