ARTENSTERBEN

scheisszeitenwende 16, 

 

Ein Kotzbrocken ist dieser Stuart Shepard. „Stu“ trickst sich – dafür hat er vor allem zwei Handys, mit Lügen und Liederlichkeiten durchs Leben. Aber um seine Frau Kelly zu betrügen, muss er an der 53. Straße zwischen Broadway und Eighth auf einen Call aus der Telefonzelle warten. Pam wird anrufen, er wird Süßholz raspeln, später wird er Pam flachlegen. Und niemand kann ihm was nachweisen. Diese Telefonzellen sind ein Glück.

Es klingelt.

Stu drückt sich in die „Phone Booth“ (so heißt der Film im Original), zieht die Glastür zu, hebt ab. Eine rauhe Stimme raspelt im Hörer.

„Komm ja nicht auf die Idee, die Telefonzelle zu verlassen.“

„Sie sind falsch verbunden.“

„Ich ziele gerade auf Dich. Spürst Du das?“

„Woher kennen Sie meinen Namen? Wer sind Sie?“

„Jemand, dem es Spaß macht, Dich zu beobachten. Ich habe ein Kaliber PSG Punkt 30 mit taktischem Zielfernrohr…“

„Sie meinen, sowas wie ein Gewehr?“

„Bei dieser Entfernung hätte die Austrittswunde etwa die Größe einer Mandarine.“

„Sie bluffen nur.“

„Wie wär’s denn mit einer kleinen Kostprobe?“

Ein Schuss. Auf der Straße vor der Telefonkabine bricht ein Mann zusammen. Panik.

„Mein Gott! Sie haben ihn erschossen!“

Keine Antwort.

„Wieso gerade ich? Was habe ich denn getan.“

„Wenn Du das fragst, bist Du nicht bereit für die Antwort.“

Die Polizei rückt an. Dutzende Gewehre sind auf den Mann in der Kabine gerichtet. Die Stimme aus dem Hörer raunt:

„Du musst Deine Sünden beichten. Jetzt geht es um Leben oder Tod. Eins. Zwei. Drei. Bäm! Bäm! Bäm!“

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Der Film endet alles in allem – abgesehen von ein paar Kollateralschäden – verbindlich. Hauptdarstellerin: eine Telefonzelle.

Jetzt, 20 Jahre später, ist wieder Showdown, diesmal an deutschen Telefonzellen.

Bämbämbäm!

Die letzten 1200 Kabinen werden heute zwischen Rantum und Reichenhall „deaktiviert“.

Naja, sie sind alt, sie haben immer nach nasser Kleidung und schwitzenden Menschen gerochen, sie waren nimmersatt (ganz schlimm war es, als man noch gute Markstücke, 50- oder Zehnpfennig-Münzen in den Schlitz steckte), sie waren besetzt, wenn man sie besonders brauchte.

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Und doch waren sie wunderbar. Der Mensch hat sich in die Kabine gestellt und nicht vom Fleck gerührt, bis seine Angelegenheit mit dem Anderen besprochen war. Der Mensch musste sich ein wenig Mühe geben, um schließlich reden zu können. Zelle finden. Eventuell in einer Schlange stehen. Kleingeld zur Hand haben. Auf eine Verbindung hoffen.

Wenn er dann genug gequatscht hatte, hängte er den Hörer in die Gabel und war wieder Chef in seinem eigenen kleinen Leben. Er verließ die Zelle und freute sich an der Welt.

Das war ein schönes Gefühl. Wenn er wollte, war er für niemanden erreichbar. Er musste ja nicht dran gehen, wenn es irgendwo in der Straße klingelte.

Das taten sie nur im Film.

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Heute haben wir keine Zellen mehr. Wir haben Handys.

Und unser eigenes kleines Leben?

Bämbämbäm!

Foto: Barbara Volkmer