“ALBTRAUM”

berlin, 9. november 2016 — Deutschlandreise, Folge 1 —   Die Kneipe heißt „Gemütlichkeit“. Ein paar Nischen sind schon für Narren eingerichtet – in zwei Tagen beginnt der Karneval. Also hat man Luftballons aufgepustet und von der Decke gehängt.

Drei Handwerker stehen am Tresen, sie haben die Baustelle an der S-Bahn Schöneberg für ein halbe Stunde verlassen. Halb zehn ist es, Zeit für zwei „Schneider Weizen“ – dann wieder frisch ans Werk, den Mittwoch kriegt man schon noch rum.

Die Tür wird aufgestoßen, ein Schub frischer Luft schwallt durch die Schankstube. Der Herbert schunkelt zur Bar, bestellt ‘ne Lage Pils und Klaren. Arbeit hat er nicht mehr, dafür jede Menge Zeit.

„Dit is ‘n Albtraum“, stöhnt Herbert. „‘n echta Albtraum.“

Was denn, wollen die Anderen wissen. Was ist passiert? Hartz IV gestrichen, die Olle weg, Hertha-Trainer Dardai hat die Biege gemacht? Was denn?

„Nee!“, sagt Herbert. „Schlimma.“

Gespannt sehen ihn die Kumpels an.

Herberts Stimme rutscht in den Keller.

„Schlimmer. Trump.“

Achso, die Geschichte. Jaja, das ist echt stulle, was sich die Amis da eingebrockt haben. Einer der Weizen-Trinker gerät ins Sinnieren. Er habe da mal den Schauspieler Plathe – den Walter Plathe – gesehen, wie der in Kleinmachnow Lieder von Otto Reuter gesungen hat. Da hat der ein Couplet drauf gehabt, an das man heute denken muss. Es handelt von so einem Vollpfosten, der von nichts – schon gar nicht von Benimm oder so – einen Schimmer hat. Aber weil er sich einen feuchten Kehricht drum kümmert, was die Anderen von ihm denken, ist er plötzlich wer. Der Reuter hat gesungen:

Meine Bibliothek wird riesig schön befunden,
hab’ zwölfhundert Bücher, prächtig eingebunden,
Links fünfhundert rote, graue, grüne, gelbe –
rechts von gleiche Größe ganz genau dasselbe –
mittendrin zweihundert Stück in blau,
ja, die Deckel kenn’ ich ganz genau.
 
Auch geschenkt bekomm’ ich manches Buch zum Lesen.
Kürzlich bin ich in Gesellschaft mal gewesen
und mit einem Herrn von aller feinsten Schlage
unterhielt ich mich – und schon am nächsten Tage
bracht’ er mir ein Buch von „Knigge“ an.
Das find’ ich äußerst nobel von dem Mann.
 
Bilder schaffe ich mir allerhand an.
Langt der Platz nicht, bau’n wir noch ’ne Wand an.
Die Tapeten hängen voll von meinem Gelde –
hab’ aus feinstem Öl die feinsten Ölgemälde.
Und an jedem Bild – damit man weiß,
was die Sachen kosten – klebt der Preis.

Ist doch ‘ne Marke, dieser Trump oder? Mehr Trumpel geht nicht.

„Sach‘ ma, Du gehst in Gesangsabende“, will einer wissen.

„Nee, normal nich. Aber meine Chrissie hat mir mitgeschleppt. Naja, war dann ganz okay. Vor dem Singen zwee Bier, inner Pause zwee Sekt, danach gepflegt inne Kneipe. War ‘n jelungener Abend.“

Und der Plathe hat einem frei von der Seele gesungen. Zusammen mit dem Otto Reuter. 

Das ist ja neue Reichtum,
der mir sehr gut gefällt.
Sie mögen sagen, was sie woll’n:
‘s Geld regiert die Welt.

Der Trump hat das geschnallt. Volle Kanne. Dann soll er mal machen, da drüben in Amerika. Hier in Schöneberg gucken sie erstmal ganz ruhig zu in ihrer „Gemütlichkeit“.

Na denn! Wohlsein!

Morgen: Wehmut in Weimar