WEG VOM FENSTER

15. april 2017          ——-          DER NEUE, Tag 86

Weimar/Washington

 

Das Theater der Stadt verschwimmt in der Bläue der Nacht. Weimars Bürger schlappen zur Bus-Haltestelle. Sie sind die Letzten an diesem Samstagabend, die Leben in die City gebracht haben. Nun schließen die Geschäfte, dann werden sich ein paar Nachtschwärmer und ein Schwung Theaterbesucher in der Altstadt verlieren.

Die Menschen auf ihrem Weg zum Bus haben müde Gesichter und sehen aus wie falsch eingekleidete DDR. Sie steigen ein, setzen sich seufzend, wischen die beschlagene Scheibe, sehen hinaus ins nässende Weimar, die Scheibe vernebelt sich wieder, sie lassen es sein und blicken ins Leere. Der Bus fährt und bringt sie in die Plattenbauten, die keine richtigen Plattenbauten mehr sind.

Eine von ihnen ist Frau B., die tagsüber im Goethehaus oberhalb des Treppenaufgangs steht und die Touristen in den Rundgang einweist. Frau B. raucht so viel, dass sie dran sterben wird.

Sie ist mit Goethe aufgewachsen. „Der Lehrer hat uns immer wieder ins Museum mitgenommen und erzählt, wie das war mit dem Goethe und dem Schiller.“

Gute Zeiten waren das. Die Schüler durften noch bis zum Katheder des Dichters gehen und die Folianten in den zimmerhohen Regalen berühren. Danach sind sie über den Platz vor dem Goethehaus, den Frauenplan, gerannt und haben die Fremden geärgert. Es hat nach Bratwurst gerochen, nach Koks-Brikett-Feuer und nach Zweitakter.

Heute machen die Fahrensleute immer noch Reklame, sie würden die besten Würste Thüringens braten. Immer weniger Touristen haben Fotoausrüstungen mit schönen Objektiven vor dem Bauch. Die Menschen knipsen die Stadt nun mit ihren Handys platt. Die Japsen mögen’s am liebsten mit den Selfie-Gestängen. Die Kids verschicken sich selbst aus Weimar in den Rest der Welt und finden es irre lustig.

„Klar sind wir verbittert. Man hat uns wieder mal fallen gelassen. Es ist wie früher.

Hier wir – da die Welt, wie wir sie auch gerne hätten.

Früher, da ist wenigstens der Willy Brandt ins Land gekommen und hat von Hotelbalkons aus gewunken. Da haben wir uns gefreut, weil man an uns gedacht hat.”

Früher war alles geordnet. Man konnte zwar nicht reisen, aber die von der Partei haben versichert, dass die schlimmen Amis nichts in Weimar verloren hätten.

Heute kommt keiner mehr – außer den Touristen und den Typen von der AfD, die am Wochenende wieder in der Region tagen.

Die Welt ist für Weimar immer noch eine Geschlossene Gesellschaft. Und die Amis? Die wollen mit Weimar nichts zu tun haben.

Und trotzdem hat Frau B. ein doofes Gefühl, wenn sie an den Präsidenten denkt.

“Ich glaube, die Welt ist gefährlicher als früher. Und Trump, das ist kein guter Mensch, sowas spüre ich.”