SPIELER-VERSTEHER

münchen/berlin, 5. dezember 2016    —    Joshua Kimmich ist erst 21, aber er hat schon eine Menge erlebt in seinem Fußballer-Beruf. Derzeit sind er und seine Kollegen vom FC Bayern München nicht besonders zufrieden. Die Erfolge müssen sie sich hart erarbeiten.

„Selber schuld“, sagt Kimmich, „wir müssen uns wieder in den Griff bekommen. Am Trainer liegt es nicht.“

Er verehrt, wie die anderen Bayern-Profis auch, diesen Carlo Ancelotti. Sie siezen den Mann und ahnen, dass er sie wohl noch zu großen Siegen führen könnte.

„Er beobachtet viel. Sein Vorgänger Pep Guardiola war emotionaler, hat mehr am Spielfeldrand gestikuliert. Herr Ancelotti zieht seine Schlüsse mehr aus seinen Beobachtungen!“

Die Spieler haben Carlo Ancelotti immer hoch gehalten (Auszug aus „CARLO ANCELOTTI – DIE BIOGRAPHIE“, erschienen 2016 im Riva Verlag)…

 

 

 

Es gibt zum Beispiel einen wirklich nicht unschwierigen Fußballstar, der keine Angst hat, als Rüpel durchs Leben zu randalieren. Kicken kann er wie ein Gott, der Zlatan Ibrahimovic. Aber wehe, man kommt ihm zu nahe. Dann beißt er um sich. Da ist er wie eine in die Enge getriebene Ratte.

Auf einen Menschen freilich lässt Ibrahimovic gar nichts kommen. Wenn er über seinen Trainer Carlo Ancelotti spricht, kennt Zlatan nur Lob.

Warum?

Weil Ancelotti gerade für junge Wilde wie Ibrahimovic die ideale Vaterfigur ist. Man muss sich ja nur ausmalen, wie sehr das Fußball-Genie an seiner Vergangenheit leidet. Von „Spiegel“-Reportern hat er sich in die Seele blicken lassen: 

„Der Weg zum Fußballplatz war weit, und ich habe mich irgendwann gefragt: Warum zum Teufel läufst du eigentlich immer zu Fuß? Mein Vater hatte kein Geld, um mir ein Rad zu kaufen – da habe ich mir eines genommen. Mir wurde es übrigens später selbst geklaut, während ich in der Schule war. Ich klaute ein anderes. So ging das immer weiter. Einmal stand da ein wunderbares Rad. Es gehörte dem Postboten, und er hatte es nicht abgeschlossen.

Aber meine Herkunft werde ich nie leugnen können. Wie heißt es? Du kriegst den Jungen aus dem Ghetto heraus, aber nicht das Ghetto aus dem Jungen.

Ich habe bei meinem Vater gewohnt. Er hat gesoffen. Meine Mutter hat 500 Meter entfernt gewohnt, zusammen mit meiner Schwester und meinem Bruder. Sie hatte ihre eigenen Probleme. Meine Mutter war Putzfrau. Sie kam selber kaum über die Runden. Wenn ich drei, vier Tage nichts Richtiges gegessen hatte, ging ich zu ihr und aß alles, was zu kriegen war.“

Zlatan ist allein gelassen mit seiner Genialität auf dem Platz, mit seinen wilden Emotionen, mit der Armut seiner Kindheit.

Er hat auch nicht wie – um nur ein Beispiel zu nennen – Boris Becker, der gleich von mehreren Ersatz-Vätern in das irre Leben eines Sport-Megastars geleitet wird. Boris Becker kam unter die Fittiche des Trainer Günter Bosch, des mentalen Bodyguards Ion Tiriac und des selbstlosen Beraters Meyer-Wölden. Die haben ihm den Weg für die Erfolge auf dem Platz und abseits der Courts frei gemacht.

(Übrigens ist Boris, als er seine Ersatzväter nicht mehr um sich hatte, ziemlich auf die Nase gefallen).

Ibrahimovic rast ungebremst und umgeben von falschen Freunden in seinen jähen Ruhm. Der junge Mann macht recht viel Unfug und redet ziemlich oft Mist – aber wenn es um Ancelotti geht, wird Ibrahimovic zum Lamm.

„Ancelotti ist ein überragender Trainer. Er ist old school, aber als Person ist er toll.“ Weil eben Ancelotti selbst die Kauzigsten unter den Spielern durch sein Interesse an ihnen gewinnt. Und weil er auch in Situationen gelassen bleibt, die andere Old-School-Ausbilder an ihre Grenzen bringen würden.

Bei einem der ersten Aufeinandertreffen versucht der ungebärdige Ibrahimovic den Coach aus der Reserve zu locken. Man kennt sich noch nicht so gut, und Zlatan stolziert auf den Herrn im Anzug zu. „Glaubst Du an Jesus“, fragt er ihn.

Ancelotti ist kaum überrascht. Denkt kurz nach. Sagt: „Ja.“

„Na, dann ist ja gut.“ Ibrahimovic legt noch eins drauf. „Wenn ja, haste Glück gehabt. Ich bin Jesus. Mach’ Dich locker, musst nicht mehr suchen.“

Carlo Ancelotti bleibt total locker. Solche Sprüche hauen den doch nicht vom Hocker.

Das wiederum findet Zlatan super. Endlich hat er mal seinen Meister gefunden.

Einen, „der sich immer kümmert. Der hört Dir zu, wenn Du es brauchst. Und wenn er einen Rat hat, hörst Du am besten gut zu.“

 

 

Das Archiv mit dem Stichwort „Ancelotti“ quillt über. Aber wo sind die Quellen mit Kritik, wo melden die sich zu Wort, die den Trainer nicht mögen?

Nicht aufzustöbern.

Über Ancelotti reden sie Gutes. Basta. 

Peter Hartmann schreibt in der „Neuen Zürcher Zeitung“: “Carlo Ancelotti ist das andere, das vertrauenerweckende, das menschliche Gesicht an der Kreidelinie des Spielfeldes, wo in Italien die Spekulationen und Komplotttheorien beginnen. Er spielt nicht den Schamanen, der das Publikum aufwiegelt, nicht den herumschreienden Zappelphilipp, der den Schiedsrichter ablenkt. Ancelotti fehlt jegliches Showtalent. Die einzige öffentliche Auffälligkeit, das Kettenrauchen, hat er sich, für zweimal 45 Minuten, abgewöhnt. Dann holt ihn seine Frau Luisa mit dem Helikopter ab, und sie fliegen auf die Farm in Felegara bei Parma, wo Ancelotti einen Tag in der Woche Bauer sein kann, Salami und Mortadella aufschneidet für seine Freunde und aussieht wie der Präsident aller Zufriedenen im Lande.“

Der langjährige Ancelotti-Schützling Clarence Seedorf (spielte unter anderem für Ajax Amsterdam, Real Madrid, AC Mailand) findet im Interview mit dem Fachblatt „kicker“ jeden Anlass zu guter Nachrede.

Ancelotti gestehe jedem „perfekten Freiraum“ zu und sei ein Mensch, „der das Leben genießt und es im erlaubten professionellen Rahmen auch seine Spieler genießen lässt. Er nimmt nicht alles so bierernst.“

Der italienische Erfolgscoach auch könne auch anders. „Er wird ungern laut. Doch wenn seine berühmte Augenbraue zuckt, ist Ungemach im Anflug, und man sollte in Deckung gehen.“ Aber – so der Mittelfeld-Held aus Holland – wenn der Coach zornig werde, dann habe das auch seinen Sinn. „Das tut er dann für den Erfolg.“

Mark Fleming ist ein kritischer Fachmann der „Sun“. Beim Thema Ancelotti bleibt er Fan. „Er hat Witz und Charme, er ist unbestechlich in der Sache. Die Kollegen schätzen seine Fairness – und unser großer Coach Alex Ferguson ist begeistert von seiner Ehrlichkeit, seiner untadeligen Sportlichkeit und gleichzeitig seiner Begabung für diplomatisches Verhalten.“

 

 

Offenes Lob, gute Erinnerungen, Respekt vor der sportlichen Leistung – das läppert sich.

Es füllt das Archiv eines erfolgreich gelebten Lebens.

Und wenn man es dann genau besieht, zeigt das Archiv auch, wie souverän Carlo Ancelotti seit seinen ersten Auftritten in kurzen Hosen das Private rund um sich schützte. Er liebt Essen und Trinken und Frauen und Feiern – aber das gehört nicht in die Öffentlichkeit.

Ausnahmen?

 

Sehr selten.

In einem Interview mit „France Football“ verraten Ancelotti und seine Frau Mariann Barenna McClay (45), wie sich kriegten – und was sie aneinander mögen.

25 Jahre war er mit der Italienerin Luisa verheiratet, beide haben zwei Kinder: Katia (31) und Davide (25). Nach einer jahrelangen Affäre mit der rumänischen Journalistin Marina Cretu traf er im Dezember 2011 Mariann, die mit Investmentfonds handelt,  in London.

Mariann: „Ich war beim Abendessen mit einem Mann. Als Ancelotti gehen wollte und sich verabschiedet hat, sagte er mir auf Italienisch, was mein Freund nicht verstand: ‚Du wirst eines Tages meine Verlobte.‘ Ich habe gelacht und ihm auf Italienisch geantwortet: ‚Na klar, nächstes Mal bringe ich den Ring mit!‘“

Ancelotti darauf über Mariann: „Ich habe drei Dinge an ihr gemocht. Erstens, sie war schön. Zweitens, sie war sehr intelligent. Und drittens, sie war ruhig wie ich. Frauen setzen dich unter Druck und sie tut das nicht.“

Mariann hat ein letztes Wort: „Ich habe eine Menge von ihm gelernt. Sein Motto ist: ,Respektiere, um respektiert zu werden‘, das ist uns beiden sehr wichtig.“

 

 

Winter 2015. Carlo Ancelotti bereitet sich auf seinen neuen Job vor. Er wird in der neuen Saison den FC Bayern München leiten. Man erwartet eine Menge von ihm. Triple oder so. Mindestens. Oder so

Er liebt die frische Luft in Vancouver, lange Spaziergänge mit seiner Frau am Strand. Essen bei Pino Posteraro in der City. Fachsimpeleien mit Pino über die perfekte coppa. Mager muss das Halsfleisch vom Schwein sein. Mit Pfeffer, Salz und Muskatnuss wird es eingerieben, in Rohdarm gefüllt und  ein Netz gewickelt. Mindestens sechs Monate lang lufttrocknen, fertig. Geheime Zutaten? Ma certo, aber die verrät man doch nicht.

Ancelotti liebt das Leben in einem Haus mit Meerblick. Geschätzter  Marktwert: sieben Millonen Dollar. Ancelotti, ein leidenschaftlicher Angler, fährt oft mit Freunden frühmorgens raus, am liebsten in die Thunfischgründe.

Abends sitzt er beim Wein und denkt über den Fußball in Bayern nach. „Das wird eine wunderbare Herausforderung.“

Und als Wegbegleiter von „France Football“ anrufen, kriegt er sie ganz charmant dazu, nicht allzu persönlich zu werden: „Ich gucke mir hier in Kanada die Spiele der Canucks und Whitecaps an. Und ich habe eine kleine Rolle im Film ,Star Trek Beyond‘ gespielt, der im Sommer 2016 in die Kinos kommt. Ich war ein Arzt.“

 

Jetzt muss er erst einmal am unergründlichen FCB herum doktern.