SCHLECHTER TRAUM

  1. april 2017           ———-                   DER NEUE, Tag 89

Washington/Weimar

 

Das Café im „Grand Hotel Russischer Hof“ ist fast leer, der Ober in Livrée rückt gelangweilt an den Kuchen-Etagèren. Klassische Musik. Gerade noch Liszt, nun Chopin.

Ganz hinten sitzen der schwule Pensionär und sein aktueller Begleiter. Der Pensionär ist bekannt als eleganter höflicher Mann mit Geld. Der Begleiter kommt nicht aus Weimar, hat schwarzes gegeltes Haar und verliert gerade die letzte Jugend. Er trinkt zuviel, ist verfressen, kommt nicht genug an die frische Luft. Bald ist er aufgeschwemmt und nicht mehr interessant für wohlhabende schwule Pensionisten.

Er gabelt das letzte Stück Torte auf und nickt uninteressiert, als der ältere Mann sagt: „Eine Schande ist das. Ganz schlimm. Das ist…“

Der Jüngere schluckt und fragt:

„Was hast Du gesagt, mein Lieber?“

Schlimm, wenn ein schwuler Texaner Deutsch redet. Also verlagert der Ältere die Unterhaltung ins Englische.

„A nightmare. It’s simply a nightmare. Ihr hättet das verhindern müssen.“

Chopin ist zu Ende. Die „Kleine Nachtmusik“ setzt ein. Der Ober greift zur „Bild“. Da steht, dass der amerikanische Präsident beim Ostereier-Rollen eine tolle Figur gemacht habe.

“”Die Trumps sind wie aus dem Ei gepellt” steht da. Und: “Ei, ei, ei – was seh ich da! US-Präsident Donald Trump (70) hatte jetzt ganz hohen Besuch im Weißen Haus. Er empfing den Osterhasen höchstpersönlich.” Und zum Schluss der Geschichte: “Optisch ist diese First Family wirklich das Gelbe vom Ei!”

Der Pensionär hat es nicht so mit der “Bild”. Er liest die FAZ. Und dort steht auf Seite 3 der Osterausgabe:

“Nordkorea droht mit vollständigem Krieg”

Eine Schande ist das.

Aber was soll’s. Der junge Begleiter ist mit dem Kuchen fertig. Was wäre, wenn man nun zum Schampus überginge.

Warum nicht?