NEGER-FANGEN

brenner, im november 2016  —  ÜBERN BERG, Folge 3

 

Dove andate?“

Der Beifahrer versucht ein strenges Gesicht. Es ist halb zwei Uhr morgens. Der Polizeiwagen hat vor dem Tunnel bei der „Sachsenklemme“ gehalten, der Beifahrer ließ die Scheibe runter fahren, setzte seine Böser-Cop-Miene auf und fragte, wohin des Wegs.

„Andiamo a Bolzano.“

Nach Bozen? Echt? „A piedi?“

Ja, zu Fuß.

Die Gendarmen beraten sich. Dann beginnt der Beifahrer zu lächeln. Das sei ein echt harter Marsch in dieser Nacht. Ob man sicher sei?

Ja klar. Dauert ja nicht mehr lang, die Nacht.

Nun, wenn die Herrschaften meinen. Dann wünsche man noch eine angenehme Reise.

Der Wagen verschwindet in Richtung Brenner. Vielleicht haben die Herren Polizisten Glück und fangen noch einen Neger, der sich in den Norden durchschlagen will. Die meisten probieren es ja mit dem Zug oder im Auto – aber es gibt auch ein paar ganz Harte, die über den Pass marschieren.

Und es gibt noch Durchgeknallte, die wollen einfach nachts nach Italien wandern. Sollen sie doch. Sind auch keine Neger.

 

 

Der Grenzer Sibillo hat seinen Bericht über die Verhaftung eines Flüchtlings beendet. Eigentlich gibt es nichts mehr zu sagen.

Aber die Kollegen wollen noch wissen, was das für einer gewesen ist. „Flüchtlinge“ sind schließlich exotische Wesen. Wer versteht die schon?

„War allein. Hat viel Angst gehabt. Wir haben ihm neues Hemd und Hose gegeben. Kein Englisch, kein Deutsch. Viel Hunger. Dann sind Kollegen aus Bozen gekommen und haben Mann geholt.“

Gennaro Sibillo hat die Geschichte zu Ende erzählt. Er beißt in sein Sandwich und konzentriert sich wieder aufs Handy.

Er hat Nachrichten von zuhause. Die Freunde haben gestern Party gemacht. Zuerst mit dem Auto runter zum Strand, Dann haben sie den Karren geparkt und im „Roma“ vorgeglüht. Um zehn rüber in den „Ribbon Club“. DJ Bone Night, die Luft hat gebrannt, beim Morgengrauen raus getorkelt. Wieder an den Strand, eine Flasche Wodka hatten sie noch im Auto gebunkert.

Jetzt nur noch pennen, twittert einer. Gennaro lächelt und ist ein wenig traurig. Er kann sich vorstellen, wie schön das gewesen ist. Keine Fremden mehr in Terracina, man hat zu dieser Jahreszeit den Ort und den Strand und das Meer für sich. Im „Ribbon“ ist man unter Freunden – der ganze Stress, eine blonde Touristin abzuschleppen, entfällt. Mit einer Einheimischen fängst Du nur was an, wenn es Dir ernst ist.

Naja, nun muss er noch eineinhalb Jahre hier abreißen. Das kriegt er schon hin. Gennaro nippt am Kaffee – auch der ist hier leblos und verdirbt einem die Laune. Ist wirklich eine Zumutung, dieser Grenzer-Job am Brenner.

Die Kollegen sind nett, das schon. Auch die, die aus dem Norden kommen, und die, denen das Deutsche keine Schwierigkeiten macht. Aber sie lachen freudlos – wenn sie denn mal lachen.

Gennaro blickt aus dem Aufenthaltsraum. Der Abend dämmert um vier Uhr nachmittags übers Tal herein. Einer der Kollegen kommt von seiner Schicht und öffnet eine Tupperschachtel. Dunkles Brot belegt mit einer Knoblauchwurst. Es riecht nach Zigaretten, Männern und einem ungesäuberten Kühlschrank.

„I hob gheart, mir kriagn a Prämie, wenn mir an Asylanten dawischn“, sagt der mit der Knoblauchwurst.

Scusi?! Wie bitte?

„Noja. Wennst Du einen Asylanten entdeckst, bekommst Du eine Prämie. Kopfgeld, verstehst?“

Achso. „Du machst einen Spaß.“

Nein überhaupt nicht. Man habe so etwas als Gerücht gehört. Und nun habe Gennaro schließlich einen erwischt, der müsse ja wissen, ob es Geld gebe.

Nein, sagt Gennaro, davon habe er nie was gehört. Sie seien eben von Bozen gekommen und hätten den Burschen geholt. „Servus, Kollege, hat er was gesagt, hat er Papiere, was weißt sonst noch über ihn? Ist er aufmüpfig? Dankschön und an schönen Dienst noch. Man sieht sich.“ Mehr war da nicht.

 

 

Um diese Jahreszeit fuhr er abends gern zum Strand. Blickte auf das Meer, das nach den Sommermonaten endlich wieder auflebte. Gennaro mochte die langen Dünen, er saß gerne am Gras und guckte den Wellen zu, wie sie ungestüm gegen das Land anrannten.

Wenn er es recht bedenkt, hat er zum ersten Mal richtig mit diesen Asylanten zu tun gehabt, als er mit Anna in die Dünen ging. Sie hatten da gesessen und sich aneinander gedrückt. Er war ziemlich froh gewesen, Anna machte ihm gute Gefühle. Sie lachte zärtlich und wagte es langsam, sich in ihn zu verlieben.

Sie schauten auf das große Wasser, da sagte sie: „Die werden doch wohl heute nicht aufs Meer gehen.“

„Wer?“, fragte er.

Na, diese Flüchtlinge, von denen jeder redete.

Ach die!

„Findest Du das nicht auch schrecklich. In so einem überfüllten Boot von Afrika nach Europa. Keine Zukunft. Kein Geld. Und wenn es blöd kommst, säufst Du ab.“

Gennaro hatte keine Antwort gewusst. Eigentlich war er ein wenig sauer auf die Asylanten gewesen. Denn nachdem Anna mal mit dem Thema angefangen hatte, war’s aus mit der Romantik. Sie hatte sich Gedanken über die Weltrettung gemacht. Und er konnte sich den Sex aus dem Kopf schlagen.

Gennaro Sibillo verzieht das Gesicht zu einem kleinen Grinsen, als er an Anna denkt. Sie ist schon eine Granate gewesen, aber dann auch wieder  kompliziert. Sie machte gerne auf sensibel und schüchtern. Sie eiferte schnell und war ruckzuck eingeschnappt, wenn man sich von ihr nicht bekehren ließ.

Wahrscheinlich hat er da mal ein Glück gehabt, dass die junge Liebe doch schnell verendet ist. Soweit er weiß, ist Anna jetzt mit einem Immobilienmenschen zusammen und politisiert mehr denn je. Sie soll so lästig sein wie ein Pickel am Hintern.

Gnädiges Schicksal. Glück gehabt.

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