MÖBLIERTES LEBEN

berlin, 9. januar 2015

Van Bo Le-Mentzel ist 37, aber er sieht aus wie ein Student in den Zwanzigern. Dabei doziert er seit Jahresbeginn als Gast-Prof an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Thema: Design für jedermann – auch und gerade für die Menschen, die es nicht so dicke haben. Der Mann muss also was drauf haben, denkt man.

Le-Mentzel hat etwas erfunden, was ihm letztlich die Gastprofessur einbrachte. Und was toll klingt:

LEUTE, SEHT HER: HIER SIND SIE, DIE HARTZ-IV-MÖBEL!

Der Berliner, im Wedding groß geworden, hat als Radio-Moderator gejobbt, da nannte er sich Prime Lee. Später hat er mit Straßenmusikern im Konzertsaal der Deutschen Oper eine CD aufgenommen. Er brachte Berliner Migranten-Promis in einer Weddinger Schule mit den Kids zusammen, und man redete über Vorbilder und Träume. Geil fanden das alle.

Und dann hatte der gelernte Diplom-Ingenieur und Architekt diese Riesen-Idee. Vor vier Jahren stellte er die ersten Bauanleitungen für Hocker, Stühle und ein Sofa ins Netz. Nett anzusehen, diese Möbel im Bauhaus-Stil! Und eine Wohltat fürs Prekariat.

DIE HARTZ-IV-MÖBEL!

Im Auftrag des Goethe-Instituts reiste Le-Mentzel als „Vertreter“ für seine Hartz-IV-Produkte nach Dublin, Rom, Warschau. Der umtriebige Vermarkter von Menschenfreundlichkeit baute ein Einquadratmeterhaus-Haus, das auf einen Autoparkplatz passt – eine Zeit lang stand es am Landwehrkanal und versetzte dort Passanten ins Staunen.

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Hartz IV, na und? Anleitung zur Selbsthilfe. FOTOS: VOLKMER/VETTEN

 

„Möbel sind für mich ein soziales Thema, kein Design-Thema“, sagt Le-Mentzel. „Möbel können dein soziales Verhalten verändern. Ich habe mir die Freiheit erlaubt, auf gängige Marketing-Tricks zu verzichten und habe das assozialste Wort Deutschlands gewählt: Hartz IV. Mit so einem Titel wird es nie ein Bestseller und damit versperre ich mir den Zugang zu den Playern in der Möbelindustrie, aber was soll’s?“

Zehn Euro Materialkosten muss der Heimwerker kalkulieren, wenn er den „Berliner Hocker“ schreinern möchte. Er hat dann die Wahl: Soll’s ein “24 Euro Chair” sein oder ein „Kreuzberg Küchenstuhl“, der kostet 36 Euro? Ausreißer nach oben gibt es auch, zum Beispiel das “SiWo Sofa”, da muss man dann schon 348 Euronen hin blättern. Ganz schön happig für Hartz-IV-Menschen.

„Ob bei Ikea oder auf dem Flohmarkt, es gibt sicher sehr viel einfachere und auch günstigere Möglichkeiten, als ein Möbel zu bauen. Mit meinem Preis kann ich also nicht punkten.“

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Alles ganz einfach! Oder?

 

Le-Mentzel wird von Freunden als Mensch beschrieben, der die Welt verbessern möchte. Friedrich von Borries, der den Berliner Kreativen an die Hamburger Uni für Designtheorie geholt hat, schwärmt: „Ich kenne niemanden, der eine so positive Zugewandtheit gegenüber Menschen hat.“

Nun also missioniert der Kreative aus Wedding die Hamburger. Dort wird er auch wieder seine Philosophie des zufriedenen Überlebens im Lande unter die Menschen bringen: „Ich habe meine Lebenserhaltungskosten auf 52 Wochen runtergerechnet und bin auf knapp 390 Euro pro Woche gekommen. Die brauche ich, um mich und meine kleine Familie am Leben zu halten.“

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Die Kindl-Passage in Berlin-Neukölln ist ein freudloser Ort. Dorthin müssen Arbeitslose aus dem Kiez, wenn sie Erledigungen im Jobcenter zu verrichten haben. Sie fühlen sich nicht wohl in der Kindl-Passage.

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Sozialverkauf? Nein, Sperrmüll!

 

Auf dem Weg zur Behörde kommen sie auch an einem Geschäftsraum vorbei, hinter dem übereinander gestapelte Möbel zu besichtigen sind. Die Schränke und Bettgestelle und Truhen und Sitzmöbel sind teilweise in ihre Einzelteile zerlegt. Das Spanholz ist aufgequollen und rissig. Die Stühle wackeln, Schubladen funktionieren nicht, Türen schließen nicht.

Stühle gibt es schon für 15 Euro, eine Schrankwand wird für einen Hunderter angeboten, eine wacklige Wäschekommode soll 40 Euro bringen. Dabei gehört das Zeug eigentlich auf den Sperrmüll.

Doch hier soll es den Bedürftigen im Land untergejubelt werden.

DAS, LIEBE LEUTE, DAS SIND HARTZ-IV-MÖBEL!