LANDLUST

D 2017*, Folge 5. 22. September. Auf nach Berlin!

Ein linder Herbsttag. Heute steht in der „Bild“, dass es den Menschen in Neuruppin teilteils geht. Die Einen sind zufrieden, weil sie ordentlich leben können. Nicht doll, aber sie haben ihr Einkommen. Die Anderen wählen AfD oder gar nicht, weil sie sich verarscht fühlen. Stütze. Die Rente reicht hinten und vorne nicht. Die Ausländer, überall die Ausländer. Frau Merkel und die ganzen Mischpoke sind schuld.

Zum Kotzen ist das alles.

Eine ganze Seite Neuruppin in der „Bild“. Das hat man sonst nie – nicht mal, wenn in der Stadt gemordet wird oder die Rechten alles zu Klump hauen.

An diesem lauen Herbsttag fällt es schwer, die Stadt in Richtung Berlin zu verlassen. Neuruppin hat sowas Ruhiges, Harmloses.

Aber es hilft nicht – die große Stadt wartet schon. Und so nimmt der Reisende seinen Weg südwärts auf.

 

Ausgestreckt am Hügelabhang, den Wald zu Häupten, den See zu Füßen, so träumst du hier, bis die wachsende Stille dich erschreckt.

Rätselmusik der Einsamkeit.

Aus dem Walde klingt es, als würden Geigen gestrichen, und nun schweigt es, und ein fernes, fernes Läuten beginnt.

Wer will sagen, wenn er die Ruppiner Schweiz durchwandert, wo ihr Zauber am mächtigsten wirkt?

Die Kärglichkeit unserer märkischen Scholle.

Der ,Totenberg‘ macht seinem Namen Ehre.

Eine alte Kiefer hält Wacht, und so weit ihre Nadeln fallen, ist verbotener Grund. Schädel liegt da an Schädel, so heißt es. Natürlich aus der Schwedenzeit. (Theodor Fontane)

 

Bei Nasseheide ist ein Laster umgekippt. Der Verkehr steht. Im Radio erzählt jemand, dass die Autofahrer in diesem Stau eine knappe Stunde verlieren würden.

Einer steigt aus und starrt, die Arme verschränkt, nach vorn. Er sieht wütend aus. Nichts bewegt sich. Der Mann tritt von einem Fuß auf den anderen. Es ist wie eine Szene aus dem Western: Gleich zieht er den Colt und schießt tot.

Die Maisfelder sind noch nicht abgeerntet und ein Bild des Jammers. Hier hat im Juli wochenlang das Wasser knöcheltief gestanden. Man konnte zusehen, wie der Masis einging. Jetzt welkt er faul und braun in der Mark. Taugt nicht mal zum Schweine-Füttern. Die Bauern – Mais, Kirschen, Äpfel, Getreide – können ihre Wut kaum beherrschen. Bei denen soll sich ja keiner aus Berlin blicken lassen. Die Herrschaften Politiker haben’s verschissen für allezeit.

 

Nun ist die Sonne unter, die Nebel steigen auf und wälzen sich von Westen her auf die Stadt zu.

Das Havelland träumt wieder von alter Zeit.

In früheren Zeiten hausten hier selbst Tiere wie Luchse, Bären und Wölfe. Besonders aber waren es die Sumpfvögel, Kraniche und Störche, welche hochbeinig in diesem Paradiese der Frösche einherstolzierten, und mit ihnen bewohnte die Wasser ein unendliches Heer von Enten aller Art, nebst einer Unzahl anderer Wasservögel. Kiebitze, Rohrsänger, Birkhähne, alles war da, und in den Flüssen fanden sich Schildkröten. (Theodor Fontane)

 

Wölfe streunen seit ein paar Jahren wieder durchs Land, und die Einheimischen würden sie am liebsten wegpusten.

Dürfen sie aber nicht. Naturschützer. Tierfreunde. Das ganze Gesocks.

Und die staatlich gesicherten Wölfe holen sich in den Karnickelställen Appetit auf mehr.

Nicht mal die von der AfD sagen, was Sache ist.

Die halten zu den Wölfen – und auch zu den Krebsen in der Stadt.

Ja, ganz recht. In Berlin schmarotzen sich amerikanische Krebse durch. Den Tiergarten haben sie schon erobert. Jetzt sollen sie auf dem Vormarsch nach Tegel und Spandau, in den Volkspark und an den Prenzlauer Berg sein. Und keiner hält sie auf. Wg. Tierliebe und Naturschutz und solcherlei Unsinn.

Es läuft vieles falsch in diesem Berlin, sagen die Berliner mit dem rechten Gefühl für Krebse und Wölfe und Merkels.

Berliner Vorstädte.

Bahnhöfe und Kasernen.

Kirchhöfe und Eisengießereien.

Leichenzüge und Bataillone mit Sang und Klang.

Der Pfiff der Lokomotive.

Über den Schloten und Schornsteinen die bekannte schwarze Fahne. (Theodor Fontane)

 

Abend in Berlin. Die Mädels brezeln sich auf für ein Wochenende, das ihnen bestimmt den Prinzen bescheren wird. Die Jungs glühen schon mal vor.

Martin Schulz bekommt in der Hauptstraße eine rote Nase. Ja, wissen denn die jungen Leute nicht, dass das Verschandeln von Wahlplakaten sie sogar ins Gefängnis bringen kann? Egal, es ist einfach geil, dem Schulz an die Nase zu gehen.

Am Alex hauen sich wieder ein paar. Im Görlitzer Park wird gedealt wie irre.

Ein Sportler läuft durchs Brandenburger Tor. Ernstes Gesicht, der Mann hat Wichtiges vor. Noch dieses letzte leichte Training. Morgen schont er die Beine. Und am Sonntag läuft er Marathon, danach wird gewählt.

Das Leben ist eine einzige Herausforderung.

Übrigens: Martin Schulz mit roter Nase sieht scheiße aus.

*“D2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.