KAUF MICH!

berlin, 13. januar 2015

„Werden Sie schon beraten?“ Die smarte Verkäuferin hat sich leise an ihr Opfer heran gepirscht. Nun ist sie dicht genug aufgerückt, jetzt schlägt sie zu. Wäre doch gelacht, wenn sie den Mann nicht um den Finger wickeln könnte. Es gilt: Wird hier gleich ein Auto verkauft? Oder nicht?

Der Mann ist in der Türkei geboren, lebt seit Jahrzehnten in Berlin, muss mit dem Wagen drei Kinder und die Ehefrau befördern – und braucht ein neues Auto. Das alte tut es nicht mehr lange.

Deshalb ist er zum Händler seiner Wahl nach Schöneberg gefahren. Dort ist „Tag der offenen Tür“, und die Autofreunde geben sich die Klinke in die Hand.

Schließlich wird an diesem Tag mit beachtlichen “Aktionen” gelockt. Die Besucher schlendern von Sonderangebot zu Sonderangebot. Kleinstwagen, Kleinwagen, Kompaktklasse, SUV, Coupé, Sportwagen, Van, Kleinlaster…

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Alles auf Hochglanz gebracht – sogar die Äpfel! FOTOS: BARBARA VOLKMER

 

„Kauf mich!“. „Kauf mich!“ „Kauf mich!“

Wenn sie sich müde gesehen haben, machen die Menschen im Südflügel der Verkaufsräume Rast und laben sich an den „köstlichen Speisen und Getränken“, von denen sie in der Werbung gelesen haben. Sie lassen sich Bier und Broiler schmecken und beobachten die Mit-Interessenten, die sich lüstern durch den Showroom treiben lassen.

„Kauf mich!“ „Kauf mich!“ „Kauf mich!“

Ja, sagt der Vater von drei Kindern, er wolle sich gern beraten lassen. Er habe Interesse an diesem Fünftürer. Solider Kompaktvan. 190 Spitze. 110 PS. 1598 Kubik. Zwei Tonnen zulässiges Gesamtgewicht. Knapp 18000 Euro, jede Menge Prozente.

Und dann diese Farbe! Zärtlich streicht der Mann über die Flanke des Autos. Nein, wirklich, diese Farbe!

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Verführerisch oder aggressiv? Das ultimative Rot.

 

Dezir-Rot.

„Ist schön.“, sagt der Mann.

„Ja, nicht wahr?“, gurrt die Verkäuferin. Sie ist sehr dünn (wohl ein bisschen zuviel Sport und zu wenig Spaß am Essen), trägt einen dunklen Hosenanzug und einen lindgrünen Seidenfoulard. Ihr Lächeln glaubt sie sich wohl selber nicht, sie verschränkt die Arme vor der Brust.

Eigentlich passt sie nicht zu dem Dezir-Rot, dem die Farbpsychologen unter anderem folgende Botschaften zuordnen: Glück, Lebensfreude, Energie, Aktivität, Liebe, Sexualität, Erotik, Wollust, Verführung, Kraft, Feuer, Hitze, Wärme, Begierde…

Sowas hat man doch gerne als Autofahrer, oder?

Nun, warnen andererseits die Herrschaften Psychologen: Dezir-Rot – das signalisiere eben auch, nicht erst seit Goethes „Farbenlehre“: Hass, Wut, Zorn, Aufregung, Aggressivität, das Laute, die Unmoral, die Gefahr, das Verbotene.

Wer will schon ein zorniger, aggressiver Verkehrsteilnehmer sein?

Schwamm drüber. Die hungrige Verkäuferin tut alles, um den potenziellen Käufer am Haken zu halten. Sie ist ehrgeizig, das sollte sie auch sein: Drei Millionen Neuwagen sind im vergangenen Jahr angemeldet worden, ihre Marke war unter den Gewinnern der Bilanz 2014.

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Autos, Autos, Autos! Was für ein Markt!

 

Das Ergebnis will man mindestens halten. Dafür muss man sein Bestes geben. Also wird geködert, was das Zeug hält: Mit Rabatten und „Geschenken“ und Premium-Cards und nochmal und nochmal Prozenten.

Und wenn es sein muss, mit Bier und Broilern.

„Ich habe drei Kinder“, sagt der Mann. „Ist das denn auch genug Platz auf der Rückbank?“

„Klar“, sagt sie.

Er ist skeptisch. Und wie es mit dem Gepäck sei? Einmal im Jahr fahre die Familie in die Heimat, da sei wie ein Umzug – wegen der Geschenke für die Freunde in der Türkei.

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Hier wär’ ich…

 

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Hier war ich!

 

„Verstehe. Schauen Sie ruhig in den Wagen. Jede Menge Stauraum.“

Er öffnet Türen und schließt sie wieder. Respekt, die Türen schließen mit einem satten „Plopp“, das hört sich an wie der Verschlag eines Rolls. Er klettert in den Wagen. Im Innenraum riecht es nach Kunststoff und noch so gar nicht nach Kindern.

Die Verkäuferin sieht dem Kunden uninteressiert zu. Als er wieder aus dem Auto krabbelt, knipst sie das Lächeln an.

„Hm“, sagt er, „ist doch ein bisschen eng. Meine Kinder sind sehr lebendig, wissen Sie?“

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Lichter der Großstadt – im Dutzend billiger.

 

„Achso.“ Mehr fällt ihr nicht ein.

Dann löst die Frau zum ersten Mal die Arme von der Brust. „Wenn der zu eng ist, dann hätten wir da etwas Größeres. Dann vergessen Sie dieses Modell.“

Sie macht eine wegwerfende Handbewegung.

Der Mann weiß nicht so recht. Er werde sich noch einmal umsehen, meint er. Allein.

Alles klar. Ein letzter kleiner höflicher Blick.

Der Auto-Suchende trollt sich. Die Verkäuferin steht ein wenig verloren neben dem dezir-roten Kompaktvan. Durch den Raum weht das Röstaroma von brutzelbraunen Broilern.

Die Verkäuferin rückt ein kleines Schild auf der Frontscheibe zurecht. „Ich bin zu haben“ steht drauf.

Die Dame mustert die Menschen im Raum. Sucht sich einen Herrn mit dicker Brille aus.

„Werden Sie schon beraten?“

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“Köstlich” – so hieß es in der Werbung. Zum Wohlsein!