HEUTE VOR 50 JAHREN

27. januar, berlin, 2 grad, eher trüb/washington 8 grad, solala        winter 16/17, Folge 19

 

Schollen treiben im Verband zum Teltowkanal hin. Eis macht sich auf dem Kanal breit, es ist ein strenger Winter im Berliner Süden.

Links vom Wasser ist der Himmel glühend rosa, rechts verblasst das Licht. Gleich ist Abend.

Feierabendverkehr auf der Autobahn nebenan. Jogger auf dem Mauerweg. Bisschen Wind.

Es ist der 27. Januar 2017.

 

Rechts war DDR, links der Westen.

Am 27. Januar 1967 hat es auf dem Kanal auch Eis gehabt. Geregnet hat es, und ein strammer Wind kräuselte das Wasser.

50 Jahre ist es her, da schossen die DDR-Grenzer um 2.30 Uhr morgens auf eine Person, die sich an den Grenzanlagen zu schaffen machte. Der Mann hatte die ersten Gräben schon hinter sich, er war auf dem Bauch zu einem Stacheldrahtzaun gerobbt, nun wand er sich durch das Loch, das er mit dem Bolzenschneider geknipst hatte.

Noch war der Mann guter Dinge. Gleich würde er sich ans Ufer des Kanals kauern und auf seine Verlobte und ihre Freundin warten. Dann würden sie ins Wasser gehen und rüber in den Westen schwimmen. Der Gedanke an die Eiseskälte war nicht drollig, aber es würde schon nicht so schlimm werden. Man hatte sich vor der Flucht Mut angetrunken. Das half jetzt.

Es waren noch ein paar Schritte zum Kanal. Da wurde geschossen. Eine Kugel erwischte den Mann. Er fiel in den Matsch. Rappelte sich hoch, schleppte sich weiter. Mehr Schüsse.

Der Mann konnte jetzt nicht mehr auf die zwei Mädels warten. Er stapfte in den Kanal. Er begann zu schwimmen.

 

Den Zaun hatte er hinter sich – da wurde geschossen.

 

Max Sahmland kommt am 28. März 1929 in Berlin zur Welt. Er wächst in Wildau, im Südosten der Hauptstadt, auf. Es ist keine schöne Jugend, und Max kommt mit seinem Leben auch nach Kriegsende nicht klar. Er arbeitet in der Landwirtschaft und als Schmied, er gewöhnt sich das Saufen an. Heiratet, zeugt zwei Kinder. Noch mehr Verantwortung, noch größere Überforderung.

1961 hält er es nicht mehr aus und verschwindet in den Westen. Dort findet er auch keinen Halt, kommt zurück nach Wildau. Er arbeitet in der Schwermaschinenfabrik, baut riesige Loks. Sahmland ist zornig und immer wieder in Händel verwickelt. Die Ehe geht in die Brüche. 1964 baut er besoffen einen schlimmen Unfall mit dem Auto, muss für 18 Monate in den Bau.

Kaum ist er raus aus dem Knast, hat er schon wieder Ärger. In einer Kneipe rastet er aus, schlägt seine Verlobte nieder und legt sich mit den Volkspolizisten an.

Im Januar 1967 verurteilt ihn der Richter zu sechs Monaten wegen schwerer Körperverletzung und anschließender Einweisung in eine Trinkerheilanstalt.

Das sagt sich der Max: Nix wie ab nach dem Westen!

Die Verlobte will mit, eine Freundin auch. Sie gehen noch auf ein paar Bier in die Kneipe in Wildau, fahren mit der S-Bahn von Zeuthen nach Adlershof, marschieren durch nächtlichen Regen ins Grenzgebiet.

Max lässt die Frauen in einem Graben zurück. Sie mögen in einer Viertelstunde nachkommen und durchs Loch im Zaun schlüpfen. Er warte dann schon am Wasser.

Max verschwindet in der Nacht. Kalt geht der Regen. Die Frauen kauern im Graben und frieren.

Dann hören sie Schüsse. Stille. Rufe. Wieder Schüsse. Scheinwerfer werden angeschaltet. Von Max kein Signal. Panik. Die Frauen fliehen zurück zum S-Bahnhof.

Am nächsten Morgen werden sie festgenommen und wegen versuchter Republikflucht und „Abwerbung“ zu langen Haftstrafen verurteilt.

 

“Wir haben nicht die Absicht, eine Mauer zu bauen.” Mit so einer Fake News hält sich ein Trump gar nicht erst auf.

 

 

Der Mann war verletzt, aber er konnte schwimmen. Er paddelte durch den Kanal. Die Grenzer hatten das Schießen wieder aufgenommen. Es gab kein Zurück. Der Mann versuchte, unter Wasser zu schwimmen. Wenn er auftauchte um Luft zu holen und sich zu orientieren, war das Pfeifen der Kugeln sehr nah an seinem Kopf.

Er blickte nach vorn, hatte vielleicht noch zehn Meter. Auf der Westseite riefen ein paar Arbeiter etwas. Sie waren vom Eternitwerk herüber gerannt, als sie die Schüsse gehört hatten. Nun verschanzten sie sich hinter einem Wall und riefen, er habe es nicht mehr weit, sie würden ihn dann da aus dem Wasser heben.

Noch ein paar Schwimmzüge, dann hätte er es geschafft.

Da trafen die DDR-Grenzer.

Der Mann versank im Wasser. War einfach weg.

Erst am 8. März 1967 fischten Westdeutsche den Leichnam des Max Sahmland aus dem Teltowkanal. Er wurde auf dem Neuköllner Parkfriedhof beigesetzt. Die 70-jährige Mutter konnte nicht zur Beerdigung, die DDR hatte sie mit einer Reisesperre belegt.

Der Todesschütze stand 2000 vor Gericht und wurde frei gesprochen. Er sagte aus, er habe seinerzeit absichtlich mehrere Meter daneben geschossen. Er könne es nicht gewesen sein, der den Flüchtigen in den rechten Lungenflügel getroffen habe.

 

Was bleibt…

 Was das alles mit Donald Trump zu tun hat?

Nichts. Außer dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika 50 Jahre nach dem Tod eines deutschen Niemands eine Mauer gegen mexikanische Nobodys bauen will.