GOTT IST ZORNIG

ice 646 (wolfsburg-düsseldorf), 24. april 2015

„Fahren Zug Flughafen?“, fragt die Frau. Sie hat einen klaren offenen Blick, schwitzt sehr, atmet schwer. Sie ist erleichtert, als sie bestätigt bekommt, dass sie in gut zwei Stunden am Bahnhof Düsseldorf Flughafen aussteigen kann und lässt sich gern beim Gepäck helfen. „Du guter Mann“, sagt sie und lächelt sehr schön. „Ich ein bisschen krank. Jetzt nach Hause. Schwester warten an Flughafen, ich könne in ihrem Haus schlafen.“

Tunesien ist ihre Heimat. Sie heißt Fadia, trägt ein dominantes braunes Kopftuch. Obwohl es noch nicht einmal halb sieben Uhr morgens ist, ist sie putzmunter, hat Lust auf eine Unterhaltung.

Sie: „Nix gut Deutsch“, doch das hindert sie nicht, flott drauf los zu plaudern.

Fadia kommt recht schnell zur Sache. Nach ein paar Floskeln über die Hitze, die nun bald über ihr Heimatland hereinbrechen wird und die sie nur erträgt, weil sie sich mittags im Haus verkriecht und erst abends zum fröhlichen Leben erwacht, redet sie über Syrien und Israel. Und sie redet über Gott.

„Du haben Christen-Gott?“

Nein. Da gibt es Probleme mit dem Glauben.

Sie wird aufmerksam. Ja, die Probleme kenne sie. Verursacher seien die, die echtes Fromm-Sein mit falschem Glauben verwechseln. Ihr Blick ist sehr eindringlich, als sie erklärt, wer sich dem Koran anvertraue, wie das im heiligen Buch steht, könne auch nicht falsch fahren.

Sie habe auch erst zum rechten Glauben finden müssen.

Zwölf Kinder hat ihr Vater gezeugt. Sie sei das älteste. Dann habe ihre Mutter sechs weitere Kinder zur Welt gebracht, sei gestorben – und die neue Mutter habe auch fünf Babys ausgetragen. Man verstehe sich gut in der Familie. Der Vater sei ein braver Mann. Immer wieder, wenn er überfordert ist, zieht er sich zurück und ist für niemanden zu sprechen.

Aber er betet fünfmal am Tag, er befolgt die Reinlichkeitsregeln, er sorgt für die Familie. „Versucht sein gute Papa.“

Der Mann ist vor fünf Jahren gestorben. Auf einmal blutete es in seinem Bauch, die Ärzte haben zu lange gewartet, das war es dann.

In Wolfsburg hat sie ihre Kinder dann allein über die Runden gebracht. Bei VW gearbeitet, bei der Sparkasse geputzt, jetzt macht sie bei McDonalds sauber. Nette Kollegen, der Chef ist anständig, das Geld reicht (sie kann sogar dreimal im Jahr für 400 Euro nach Tunesien fliegen).

Alles ganz gut, soweit. Sie wird keinen Mann mehr finden – „ist vorbei, nicht schlimm, keine Mann, keine Probleme“ -, nur die Kinder machen ihr manchmal Sorgen.

Die Tochter, 17, verirrt sich nur manchmal in die Moschee. Aber der Sohn, 19, hat mit Religion gar nichts zu schaffen. Er trinkt sogar Bier.

Fadia hat Tränen in den Augen. Sie kann sie ja nicht zwingen. Das will, radebrecht sie, der Gott, an den sie glaubt, nicht. Wenn die Kinder sich versündigen, werden sie das büßen. „Jeder Fehler steht in Deinem Lebensbuch.“

Der Koran ist der große Halt im Leben dieser entwurzelten Frau. Sie konnte als Zehnjährige noch nicht lesen – der Vater hat angeordnet, sie brauche keine Schule, sie solle lieber der kränkelnden Mutter zur Hand gehen. Da hat sie sich ein bebildertes Religionsbuch gegriffen und sich das Lesen selber beigebracht.

Nun hilft sie sich in Wolfsburg mit dem Glauben durch den Alltag. Manchmal, sagt sie, kommen beim McDonalds sogar Kollegen (aus Afrika oder der Türkei oder so) und wollen wissen, was denn da dran sei in dem Koran. Ob Gott der Freund und Retter sein könne?

Ja, sagt sie dann. „Du brauchen Gott. Sonst Du nicht verstehen. Wie wollen verstehen? Dass jeden Tag neu die Sonne ist am Himmel? Dass Nacht ist und dass Tag ist? Was passiert mit Wasser?“

Fragen, auf die der Koran die Antworten gibt:

„Wasser kommt von allein. Sonne kommt von allein. Nacht kommt von allein? Du bist zu klein für wissen, warum. Aber Gott wissen. Du musst beten und du musst reden mit Gott. Dann geht es Dir gut da.“ Sie deutet auf ihr Herz.

Sie sieht über den Mitfahrer an. Er solle, sagt sie, sich einen Koran besorgen. Er müsse beginnen zu lesen und zu lernen. Er dürfe keine Fehler mehr machen. „Du müssen finden Gott.“

Aber was sagt denn ihr Gott, wenn er sieht, was in seinem Namen so passiert in Syrien und bei der Isis und so?

Sie zuckt mit den Schultern. Sie rede mit ihrem Gott nicht über diese Dinge. Die seien zu schrecklich.

„Aber“ – sie sucht lange nach den richtigen Wörtern.

„Aber ich glaube, ich weiß: Gott ist zornig. Wir müssen Angst haben. Ja, Gott hat großen Zorn.“