GAME OVER

berlin, 19. märz 2015

Eigentlich wollen sie sich gar nicht dran erinnern: Christiane Hammacher und Gunnar Möller saßen in Reihe 7 im Parkett des Deutschen Theaters zu Berlin und dachten an Therese Giehse. Man gab den „Besuch der alten Dame“, das Stück, das Friedrich Dürrenmatt der Giehse auf den Leib geschrieben hatte. Alles war modern, möchtegern-cool und laut auf der Bühne. Aber wenn man einmal die Giehse in diesem Stück gesehen hatte, war das alles im Deutschen Theater ein rechter Schmarrn.

Regie hat in Berlin der wilde, selbstbewusste Bastian Kraft geführt. Im „Deutschen Theater“ hatte sich ihm niemand in den Weg gestellt. Und jetzt haben sie die Bescherung:

Das Stück ist immer noch auf dem Spielplan. Im März gibt es den “Besuch” noch ein Mal, im April kommt er zum 25.en Mal auf die Bühne. Quel malheur!

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Hammacher und Möller – zusammen haben sie wohl 120 Jahre Theatererfahrung – haben die große Therese Giehse oft erlebt. Gunnar Möller war neben ihr im “Besuch der alten Dame” auf der Bühne. “Sie ist grandios gewesen in ihrer Akribie.” Christiane Hammacher hat mit der Giehse Lesungen gehalten und sie saß im Publikum, wenn die “größte Schauspielerin der Welt” (Bert Brecht) die “alte Dame” zum Leben erweckte.

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Den Spiegel vorhalten lassen sollten sich manche junge Kollegen vom Fach… FOTO: BARBARA VOLKMER

 

“Eine wie sie hat es nicht mehr gegeben”, sagt Möller. “Therese hat fürs Theater gelebt, sie ist dafür geboren worden.”

Wie sie privat war? Da zucken die Beiden die Achseln. Es gibt die “private” Therese Giehse nicht.

Am 6. März 1898 kommt sie an einem Sonntag in München zur Welt, als Nesthäkchen einer Familie mit fünf Kindern. Der Vater Salomon Gift, ein Textilkaufmann, stirbt, als Therese 13 ist. Die Mutter führt weiterhin einen gutbürgerlichen Haushalt.

Therese ist ein wenig mollig, hat rote Haare und fällt in der Schule vor allem durch große Arbeitsverdrossenheit auf. Später wird sie erzählen, sie sei “stinkend faul” gewesen. Die Distanz zum Lehrbetrieb zeichnet sich schon nach dem ersten Tag ab. Da wird die kleine Theres’ gefragt, wie es ihr denn gefallen habe. “Noja”, meint sie, “ganz hüsch, aber recht zeitraubend.”

Die Theres’ hat ihren eigenen Kopf. Mit sanfter Sturheit setzt sie durch, was sie sich so vorstellt. Als ihre Leut’ meinen, sie solle aufhören, vom Beruf einer Schauspielerin zu träumen, sie sei einfach nicht schön genug, erklärt sie: “Ich will ja nicht schön sein. Ich will nur zum Theater.” Basta!

Therese Gift macht unbeirrt ihren Weg. Nimmt den Künstlernamen Giehse an. Tingelt durch die Provinz. Spielt, spielt, spielt.

Schließlich kommt sie in München an. Wird schnell zum Star. Mit Erika Mann – mit der sie wohl auch eine solide verschwiegene Liaison pflegt – gründet sie die “Pfeffermühle”, und so lang sie können, “derblecken” sie die braune Brut. Als klar wird, dass die Nazis Deutschland übernehmen, verlässt Giehse zusammen mit den Manns die Heimat und baut sich eine Künstler-Existenz in der Schweiz auf.

Zürich, das ist eine Stadt nach ihrem Geschmack. Jede Woche eine Premiere, man lernt die großen Autoren der Zeit kennen.

Der Krieg ist zu Ende, die Herrschaften vom Film wollen Therese Giehse ködern. Aber sie mag nicht. Sie schaut sich gerne Filme an, aber so richtig wohl fühlt sie sich auf der Bühne. Also bleibt sie zeitlebens Theater-Frau.

Sie zieht in die Innenstadt. Da muss sie nur über die Straße und ist schon in den “Kammerspielen”. Sie hat alles, was sie braucht: die Bühne und die Umkleide, eine spartanisch eingerichtete Wohnung. Zwei Sessel, die vielen Bücher und Platten. An den Wänden Barlach, Picasso, Bilder und Grafiken von Freunden. Kein Fernseher, eine bescheidene Küche.

“Dabei hat sie gern gegessen und war auch gerne in Gesellschaft”, erinnert sich Gunnar Möller. “Sie saß dann da, schmunzelte und hörte zu. Therese Giehse führte nie das große Wort.”

Manchmal erzählt sie – mit ebendiesem feinen Schmunzeln -, was für ein Genuss das Essen und das Trinken sein können. Sie hat zwar eine blöde Diabetes, aber was soll’s? Wenn sie sich mit dem Dürrenmatt – auch ein Zuckerkranker – trifft, dann macht man sich ungeniert über alle Schlachtplatten der Welt her. Und wenn sie gerade die Fastenkur in Bad Gastein zu Ende gebracht hat, verabredet sie sich mit dem Brecht auf der „Wiesn“, und man lässt kein Hendl ungerupft und keine Maß schal werden.

In den Theaterferien reist sie vielleicht mal nach England. Weihnachten hat sie ein privates Gastspiel bei den Brechts in Berlin Weißensee.

Ansonsten lebt Therese Giehse auf der Bühne (und manchmal, wie in den “Münchner Gschichtn” von Helmut Dietl) vor der Kamera. Proben. Premieren. Spielen. In Berlin. In Zürich. In München. Überall.

Sie macht kein Gewese darum. “Erst muss man mit sauberen Füßen auf der Erde stehen, auf der Seite der Gerechtigkeit, mit unverschmutzten Gefühlen und unegoistischem Sinn fürs Reale. Von da aus startet man, und dann geht es immer weiter.”

Wenn einer mehr von ihr wissen will, sieht sie ihn mit ihrem schwer zu deutenden Blick an, ganz lang und unerbittlich. Dann meint sie: “Ich hab’ nichts zum Sagen.”

Sie führt ein Tagebuch. Aber wenn Therese Giehse darin etwas notiert, was ihr zu schaffen macht, reißt sie die Seiten einpaar Tage später raus und vernichtet sie. Therese Giehse geht in den hunderten Rollen auf, in die sie schlüpft. Dafür ist sie gemacht, der Rest ist ihr “wurscht”.

“Es gibt Kollegen, die bleiben nach der Premiere die ganze Nacht in irgendwelchen Lokalen hocken, nur um gleich nach dem Erscheinen über die Morgenzeitung herzufallen. Ganz besoffen vor Aufregung und Alkohol. Ich finde das lustig, habe es aber nie mitgemacht.”

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Mach mir die Theres’, Brigittchen! FOTO: BARBARA VOLKMER

 

Christiane Hammacher und Gunnar Möller erinnern sich nicht, eine ähnlich disziplinierte Kollegin kennen gelernt zu haben, der das ganze Theater ums Theater so egal war. Sie liefert ihr Stück ab – und wenn der Applaus zu Ende ist, bereitet sie sich auf das nächste vor.

Tag für Tag. Jahr für Jahr. Berlin. München. Zürich. Überall.

Dann, so der Schriftsteller Martin Kreutzberg, ist “der 15. Oktober 1974. Der Zuschauerraum des Berliner Ensembles in Ostberlin ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die riesige Bühne ist leer. In ihrer Mitte ein Tisch und ein Stuhl. Sonst nichts. Eine kleine, doch schon alte Frau kommt mit kurzen Schritten auf die Bühne, setzt sich und beginnt zu lesen. Texte von Brecht. Leise, aber mit klarer Stimme. Die Giehse. Im Zuschauerraum ist auch nicht das kleinste Rascheln oder Räuspern zu hören. Nach fast zwei Stunden steht die Giehse auf, verbeugt sich, nimmt knapp die Ovationen des Publikums entgegen und geht…

Es ist ihr letzter Auftritt auf dieser Bühne. Kurze Zeit danach stirbt die 73 jährige Therese Giehse nach einer Augenoperation. Sie wird in Zürich zu Grabe getragen.”

Das klingt nach letztem Vorhang.

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Es ist aber ein Schmarrn. Denn selbst heute, im Deutschen Theater zu Berlin, erinnern sich die, die sie erlebt haben, an Therese Giehse als alte Dame von Dürrenmatt.

Dabei steht sie gar nicht auf der Bühne…

Aber das Stück in der vermaledeiten Inszenierung von Herrn Kraft hat im April die 25. Reprise. Dabei hätte diese Inszenierung den letzten Vorhang schon nach der Premiere verdient gehabt.

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Unbestechlich, wenn es um das Spiel vom Leben ging: Therese Giehse.