FROH MIT BOO

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berlin, 2. januar 2015   „Det Publikum is een zu komischet Pack von eijenwilliche Wassaköpfe“, hat vor gutding hundert Jahren die Artistin Paula Busch räsonniert. Und weiter: „Man meent et doch so jut mit se. Aber wenn se nich woll’n, denn kann man sich koppstell’n un den Erzengel Jabriel in ‘ne Badeose tanzen lassen.“ Es gibt aber auch die Momente, da werden die Menschen im Publikum zu schmiegsam-biegsamen Geschöpfen. Dann vertrauen sie sich vorbehaltlos großen Künstlern wie dem wunderbaren Eric Boo an.

Der Clown geht. Es ist still geworden im Tempodrom, als der Clown zwei klitzekleine Artistinnen aus Fernost an die Hände nimmt und mit ihnen zum Ausgang trottet. Die Kinder im Publikum halten den Atem an, die Erwachsenen schlucken ein bisschen (und manche schämen sich wohl auch, weil sie gerührt sind) – es ist ein kurzer inniger Augenblick im Circus Roncalli, in dem die Zeit so stille steht wie auf der Uhr, die eine der kleinen Artistinnen bei sich trägt.

Dann schneit es Konfetti, das intime Licht erlischt, und die großen gnadenlosen Scheinwerfer werden eingeschaltet. Schluss mit Illusion! Man zieht sich wetterfest an und tritt auf den Platz. Der Schnee ist geschmolzen, Böllerreste auf dem Trottoir sehen aus wie der letzte Dreck. Die Stadt schmuddelt sich ins Neue Jahr.

Die Menschen vor dem Tempodrom lassen sich’s nicht verdrießen. Sie sind noch immer ganz verzückt. Heiter machen sie sich auf den Weg.

Schuld ist Boo, der Clown.

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Wenn die Zeit einfriert. Eric Boo hat seinen Job getan. FOTOS: BARBARA VOLKMER

Einer, der aus ganz wenig ganz viel macht. Er spielt mit einer Besucherin imaginäres Tennis, und die Zuschauer biegen sich vor Lachen. Er nimmt die junge Unbekannte auf den Sozius, kommt ihr nie zu nahe, aber er deutet an, dass sie tolle Kurven habe – und man bekommt so seine frivolen Gedanken.

Boo nuschelt und macht viele seltsame Geräusche, er bewegt sich wie eine Puppe an Fäden und stolpert über Luftlöcher. Boo lacht von einem Ohr zum benachbarten, wenn ihm danach ist. Und sein Gesicht verliert jeden Halt, wenn es das Leben nicht gut mit ihm meint.

Boo ist ein moderner Clown so ganz nach dem Gusto von Roncalli-Chef Bernhard Paul. Der sagt, dass die Politisch Korrekten und die Krawall-Fans das Gefühl Zirkus kaputt machen: „Es ist schon wie eine Verschwörung gegen den Zirkus. Erst PETA mit ihrem Rundumschlag der auch unschuldigen schadet und jetzt irgendwelche Superschlauen in Frankreich, die meinen, im Clown Kostüm, mit Kettensägen hinter Menschen her rennen zu müssen. Vollidioten. Was der Zirkus und die Clowns alles aushalten müssen!“

Paul schnauft durch wie ein Walross. Dann kriegt er sich wieder ein: „Aber bei uns ist das Publikum schon nach ein paar Minuten versöhnt.“

Schuld ist Boo, der Clown.

Bürgerlich Enrique Boo. Geboren 1955 in Barcelona, dort hat er auch Kunst studiert. Mit 27 trat er zum ersten Mal als Clown auf. Tingelte durch ganz Europa. Auf dem Festival „Cirque de Demain“ wurde er mit dem Sonderpreis ausgezeichnet. Sieben Jahre gab er den weisen Narren im „Moulin Rouge“. Boo tüftelt immer an irgendwelchen neuen Nummern, er sieht den Menschen auf die Füße und in die Gesichter, er malt hinreißend bunte Bilder.

Boo ist Mensch gewordene Kreativität und er ist ein unverbesserlich guter Kerl.

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Lust auf ein Tänzchen? Der Clown auf Menschenfang. Und das Publikum? — Ist atemlos.

Manchmal sieht Boo aus wie Buster Keaton. So auch dieser Tage. Da ist er ein nuschelnder, altersloser, verschmitzter Mann. Ein weiser Witzbold und ein Ver-Zauberer.

Und wenn er dann im Konfettischneetreiben so da steht, mit seinen kleinen Begleiterinnen, dann ist er müde und froh.

Müde, weil Glücklich-Machen anstrengt.

Und froh, weil sich die Anstrengung wieder mal gelohnt hat. Dabei hat nicht mal der Gabriel in der Badehose getanzt.