FEST DER LIEBE

„2017”*, Folge 98, 24. Dezember. “Berliner Woche”/I

 

Schade, dass sie trinkt.

Rosige Wangen hat Elly. Das kommt vom Rouge, von der Gans und dem Rotwein – und es ist zu warm bei ihr zuhause.

Elly hat es sich schön gemacht in der Wohnung. Dort lebt sie seit – “ach ich weiß nicht, ich hab’ das Gefühl, ich wohn’ schon immer hier.”

Stimmt nicht. Die ersten zehn Jahre waren grau und kohleverrußt. Prenzlauer Berg, Hinterhaus, gerade nochmal davon gekommen, aber bei Sonne beseh’n ‘ne Kriegsruine. Da roch es nach Kohl und Pisse, und manchmal hatte ein Besoffener in den Hof gekotzt.

Kein Wunder, dass Max die Biege gemacht hat.

Dann hatte es die Mutter endlich geschafft. Zweiraumwohnung in der Platte, es war nicht weit zum Tierpark und auch nicht zur Arbeit im Stellwerk von Rummelsburg.

Mutter hat die Wohnung zur neuen kleinen Heimat aufgemöbelt. Mit Häkeldeckchen und Grünpflanzen und Kakteen auf dem Fensterbrett. Sie hat es geschützt eingerichtet. Es gab ihre Tochter Elly und sie. Im Sommer kam Elly vier Wochen zu Omi nach Thüringen, im Winter ging’s zum Rodeln am Hönower Weg. Später Knutschereien im Jugendclub oder im “Kosmos”.

Und danach immer wieder nach Hause zu Mutter. Die hatte ihre Freundinnen und Bekannten, einmal in der Woche ließ sie die Tochter allein und ging zum Kegeln. Manchmal zwitscherte sie sich einen, aber immer war sie für ihre Kleine da.

Männer?

Nee! Sicher nicht, nach der Geschichte mit Max.

 

“Muss ich Dir mal erzählen, wie das war mit meinem Vater”, sagte Elly und schenkte sich nach.

Alles zu seiner Zeit.

 

Sie hat sich ganz doll gefreut, als Hans Krohn in der Kneipe rein schneite. Es war Weihnachten, auf der Bülowstraße draußen lichtete sich der Verkehr, die Trinker richteten sich auf einen harten Nachmittag und eine zähe Nacht ein.

Schon jetzt war die Bude bumsvoll.

Elly zapfte das Bier, sie schenkte den Schnaps nach, sie goss Wein ein, sie war wie immer souverän, nüchtern und piccobello in Form. Blond, der Pony schimmerte wie Seide, das Kostüm kam aus einem teuren Geschäft in Charlottenburg. Elly hatte sich dezent geschminkt, ein handliches verführerisches Frauchen war sie.

Geschätzte 45 vielleicht (stimmte natürlich nicht – Elly ist Jahrgang ’55, aber das juckt keinen Kerl, weil sie so proper ist).

Elly könnte an jedem Finger einen haben. Aber da ist sie wählerisch.

Hans und sie hatten nie was miteinander. Sie hat ihn erlebt, als er die Zeche kaum zahlen konnte. Er hat sie nach Hause gebracht, wenn sie sich nach dem Dienst die Kante gab (normalerweise kriegt Elly die Kurve und verlässt aufrechten Schritts das Lokal, bevor der Alk das Ruder übernimmt – aber einmal alle zwei Monate verschätzt sie sich und bleibt, bis sie sich nicht mehr am Tresen festklammern kann).

Sie hat mit ihm besprochen, wie es war, wenn sie mal mit einem Typen in der Kiste gelandet war.

Sie kannte seine Sehnsucht. Wenn er sich wieder mal mit den Damen vertan hatte, sagte sie “So wird det nischt” und füllte ihn ab, bis er vergaß. Dann sorgte sie dafür, dass er auch gut nach Hause kam.

Sie wurden Freunde, mit der Zeit waren sie Vertraute.

Da stand er also am Nachmittag von Heiligabend in der Kneipe, war so lange nicht mehr da gewesen – und Elly rief, wirklich sehr erfreut:

“Das is aber jetzt schön. Warte, ich habe in ‘ner Stunde Feierabend – haste was vor?”

Hatte er nicht.

Also hatten sie beschlossen, sich über den Tag zu bringen.

 

Die Küche hatte Hans übernommen, Elly kümmerte sich um den Wein (zwischenmang genehmigte sie sich auch einen klitzkleinen Klaren).

Es hat geschmeckt, sie haben sich Geschichten aus den letzten zwei Monaten erzählt (zwei von ihren Stammgästen waren abgängig, könnten wohl gestorben sein – er berichtete von seiner Wanderung durch Deutschland und erzählte, dass er ziemlich platt sei).

Nach dem Essen fummelten sie ein bisschen auf der Wohnzimmercouch, dann wurde sie müde. Sie erklärte, man werde es sich gemütlich machen.

Sie wechselten ins Bett. “Macht Dir doch nix aus?”, hatte sie gefragt und sich ausgezogen.

Nee, hatte er gesagt und sich nackend neben sie gelegt.

Sie hatte einen Fernseher im Schlafzimmer. Super. Er durfte das Programm aussuchen.

 

“Schön, dassde da bist. Ganz schön is dit.”

“Ja.”

“Bleibste morgen?”

“Willste?”

“Ja.”

“Okay.”

“Schön. Freu ick mir. Weißte was?”

“Was?”

“Is ‘n schönet Weihnachten. Lang nicht mehr gehabt. Echt schön. Und echt: Du bleibst morgen?”

“Klar. Versprochen.”

“Dann is jut. Dann kann ick jetz schlafn. Nacht.”

“Nacht.”

 

Ellys Kopf ist ein wenig schwer auf seinem Arm. Sie schnarcht, ganz dezent. Gleich wird er den Arm frei bekommen und sie über den Kopf streicheln.

Er fühlt sich erleichtert.

Im Fernsehen läuft die “Feuerzangenbowle”. Das hat er als kleiner Junge irre gemocht. Jetzt gefällt es ihm auch.

Hans Krohn sieht froh, wie Heinz Rühmann sich einen abstrampelt.

Schade nur, dass Elly säuft.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.