DDR-BULLSHIT

berlin, 20. märz 2015

Es war vor genau 50 Jahren. Ein schwarzer Mann entstieg lächelnd auf dem Flughafen Schönefeld der aus Prag gekommenen Maschine. Und die Deutsche Demokratische Republik, die böse kalte, kommunistische DDR, stand Kopf. Die Menschen und die Politiker flippten aus – wegen eines Schwarzen. Wegen Louis Satchmo Armstrong, eines Musikanten aus dem bösen, kalten, kapitalistischen Amerika.

Auf dem Rollfeld spielten die Jazz Optimisten Berlin. Ein paar Takte von “When It’s Sleepy Time Down South” – und dieser lächelnde Satchmo ließ das Empfangskomitee stehen. Wuselte zur Band und machte mit bei der Musik.

Dann die Pressekonferenz im “Berolina”. Armstrong kümmerte sich einen feuchten Kehricht ums Protokoll. Gänzlich unkorrekt war der Mann, fegte erstmal sein Glas vom Tisch. “Ich bin nur Trompeter und Sänger, Politik ist mir schnuppe. Ich spiele für alle Menschen.”

Ob er die Mauer gesehen habe? Der Mann auf dem Podium überlegte kurz, sagte dann: “Sie wissen doch genau, dass ich hier nicht sagen kann, was ich will. Aber wenn Sie es unbedingt hören wollen: Vergessen Sie diesen Bullshit!”

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Kumpel fürs Leben: Stachmo und Wolf.

 

Danach ging er auf Tournee. 17 Städte, volle Hallen überall. 15745,66 Ostmark in die Staatskassen. Nach dem ersten Abend in Berlin titelte sogar das Neue Deutschland: “Satchmo kam, blies und siegte.”

Armstrong war nach der Tor-Tour begeistert: “Eine solche Begeisterung für Jazz, wie ich sie hinter der Mauer erlebt habe, kenne ich kaum noch.”

In Leipzig brach dem King Of Jazz eine Krone aus dem Mund. Gegen 50 Mark und zwei Konzertkarten machte ihm ein Zahnarzt eine neue. Außerdem bunkerte der Dentist einen Abdruck von Armstrongs Gebiss. Der wurde bis zum Ende der DDR in der Medizinischen Akademie verwahrt. Danach verschwand er spurlos.

Ein West-Berliner traf seinen Freund Stachmo während dieser Zeit, als Armstrong nächtens einen kleinen Ausflug aus dem Osten nach Charlottenburg machte. Film-Mann Wolf Brauner erinnert sich an den Kumpel:

Brauner (90, gefühlte 65) greift in seinen Fundus: “Neulich fand ich in meinem Schreibtisch diese alten Fotos und erinnerte mich an einen ganz besonderen Menschen.”

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“Er war toll – als Musiker, als Spaghetti-Esser und als Freund.” Wolf Brauner. FOTO: BARBARA VOLKMER

 

Kunstpause. “Also, das hat mich gerührt. Ich krame da in den alten Bildern – und plötzlich habe ich das Bild von Louis in den Händen. Von meinem Freund, dem unvergleichlichen Louis Armstrong.”

Er streicht über das Foto. Und hat die Szene wieder vor Augen, als sei es gestern gewesen.

Lässig flegelt Louis hinter der Bühne auf einem Regiestuhl. Die Beine liegen auf  einem Schemel, die Trompete lässt der Musiker nicht aus den Fingern. Wolf Brauner hat sich in einen schicken Anzug geworfen, mit Aufschlaghose und Krawatte. Auf dem Boden sieht man die Wasserflasche, zu der der geniale Jazztrompeter greift, wenn er die Lippen anfeuchten muss.

“Mein Bruder Artur Brauner produzierte 1959 den Film  ,La Paloma‘ mit Bibi Johns  und Louis Armstrong und seinen ‚ALL Stars‘.” Regisseur war Paul Martin. Der legendäre König des Jazz drehte in  Berlin Haselhorst in den Ateliers der CCC Filmkunst, und laut Vertrag musste er täglich nur sechs Stunden vor der Kamera stehen. Der Produktionsleiter Gerhard Wendlandt war ausgestiegen, so wurde Wolf Brauner als neuer Herstellungsleiter an Bord geholt.

Ein Herstellungsleiter muss auch dann in Aktion treten, wenn es irgendwo klemmt. Wie beim Dreh von “La Paloma”. “Eines Abends rief der Regisseur an: ,Wir schaffen das musikalische Pensum nicht in sechs Stunden. Das ist nicht drin!‘ Also fuhr ich ins Studio und sah, wie  Armstrong die Trompete einpackte – und alle acht Mann im Gänsemarsch die Ateliers verließen. Der Agent wedelte wie immer mit dem Vertrag: ,Wir machen keine Überstunden.‘

Ich guckte mir das an, ging zu Louis Armstrong, der lässig in Socken in einer Ecke saß und stellte mich ihm vor. Ich lernte einen bezaubernden, bescheidenen Mann kennen, mit einer großen Wärme, keinen Allüren. Wir redeten eine Weile, ich zeigte ihm, wo es gerade hakte und lud die Truppe abends zur mir zum Essen ein.

Damals wohnte ich am Hohenzollerndamm 110 in einem schicken Hochhaus. Vom  Regisseur Michelangelo Antonioni hatte ich besondere Rezepte und feine Gewürze aus Italien  mitgebracht.

Antonioni hatte mir zum Beispiel gezeigt,  wie man merkt, ob die Spaghetti ‚al dente‘ sind. Man wirft ein paar Nudeln an die Wand, und wenn sie kleben, dann sind sie perfekt.

Ich warf also Nudeln an die Wand, ,Satschmo‘ riss die Augen auf und lachte schallend. Er zog ein Taschentuch aus der Tasche. ,Das glaube ich nicht!‘, schnaubte er. Bei ihm und den Musikern seiner Truppe hatte ich gewonnen. Einer nach dem anderen verschwand, und als ich zum Esstisch kam, hatten alle auch ihre Instrumente ausgepackt und als Dankeschön improvisierten sie für mich über den nächtlichen Dächern der geteilten Stadt.

Was soll ich sagen? Wir hatten einen wunderbaren Abend. Es kam der Montag und eine neue Woche des Drehens. Nach sechs Stunden sagte Armstrongs Manager wieder: Wir machen keine Überstunden!

Da guckte mich Armstrong an und sagte: ,Wenn ich bei Dir weiter so gut bekocht werde, bleibe ich gerne länger.‘  Seinen Agenten schickte er weg.  Satschmo bot mir Trompetenunterricht an, wenn ich ihm das Rezept für die Bolognese verrate (das Geheimnis ist ein Glas Rotwein!). Das hat er sich zeitlebens gemerkt.”

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“Und Du willst Musik machen?! Niemals!!!” Der geduldige Lehrer Louis Armstrong und sein unbegabter Trompeten-Schüler.

 

Und die Geschichte mit dem Trompetenspiel? “Naja, er war ein geduldiger Lehrer, aber ich ein lausiger Schüler. Nie, nie habe ich auch nur einen einzigen Ton aus der Trompete herausgebracht!” erzählt Wolf Brauner

Macht nichts! Brauner lacht. “Viel wichtiger war, was Satchmo mit den Menschen in der DDR vor genau 50 Jahren machte…”