BUH!

berlin, 26. Januar 2016

„Die Salome ist schon ein Extremfall“, hat der Regisseur Claus Guth eine Woche vor seiner Premiere gesagt und dabei sehr nett fürs Foto gelächelt. Dann wurde er gefragt, ob er damit rechne, ausgebuht zu werden.

Guth, ein wunderbarer Quergeist im Opernbetrieb – der, seit er vor gefühlt 30 Jahren in Mannheim zum ersten Mal aus einem Musiksaal gebuht worden ist, die Szene auf wundervolle Weise in Rage bringt -, erklärte: „Ich lege es nicht darauf an, aber es wird unvermeidlich sein. Bestimmte vertraute Bilder, die ja biblischen Ursprungs sind, die werde ich nicht bedienen.“

 

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Du willst Ärger?

 

Okay, er hat gekriegt, was er verdient hat. Sie haben ihn zur Minna machen wollen, die Bewahrer gemütlicher Traditionen.

Der Berichterstatter der „Berliner Zeitung“ beobachtete, dass Guth, der Arme, bei der „Premiere schwerste Buh-Stürme auszuhalten“ hatte.

Selber schuld. Was sucht er sich auch die Salome aus? Die hat doch bekanntermaßen die Pest an der Schärpe.

Fertig geschrieben hat Richard Strauss das Skandalon (entsprungen dem irren Hirn eines Oscar Wilde) im Sommer 1905. Von da an: nix als Ärger.

 

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Kannst Du haben.

 

„Abgesehen von mehr textuellen Bedenken kann ich über das Abstoßende des ganzen Sujets nicht hinaus und kann nur wiederholen: Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne.“

So schrieb am 31. Oktober 1905 der Zensor der Wiener Staatsoper Dr. Emil Jettel von Ettenach an den Direktor des Hauses Gustav Mahler

Und raus war die „Salome“ aus dem Wiener Kulturbetrieb. Im Dezember freilich wurde die Oper von Richard Strauss in Dresden uraufgeführt. Und dann gehörte – allen Buhs zum Trotz das sexualpatholgische Oeuvre zur Opern-Weltliteratur.

Nun machte sich Herr Guth 110 Jahre später ans Werk. Und er schaffte wieder mal die kreative Spaltung des Publikums.

 

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Leg Dich einfach mit denen an, die nichts ändern wollen.

 

Die Kritiker der Stadt waren hin- und hergerissen. Zum Einen wollten sie es sich nicht ganz mit den Werte-bewussten Opern-Altvorderen verderben. Zum Anderen mussten sie anerkennen, dass da etwas Besonderes auf der Bühne geschehen war.

Ulrich Amling im „Tagesspiegel“: „Wer klassisches Sex and Crime sucht, wird durch Claus Guths Inszenierung keinerlei Befriedigung erfahren, es sei denn, er ist ein leidenschaftlicher Buhrufer. Doch Guths Entwurf einer autoritären und doch vaterlosen Gesellschaft und der daraus folgenden weiblichen Fixierung ist von großer intellektueller Einfühlungskraft….Für Salome hat Claus Guth zusammen mit seiner neuen Bühnenbildnerin Muriel Gerstner sein hoch virtuoses Drehbühnentheater angehalten.”

Matthias Nöther schließt sich in der „Morgenpost“ an: „Eine bemerkens- und bedenkenswerte Aufführung – und ungeachtet der Buhs für das Regieteam nicht nur in musikalischer Hinsicht.“

Nur Peter Peter Pachl hängte sich in der „Neuen Musik-Zeitung“ in den Windschatten der erbosten Bildungs-Bürger: „Das Premierenpublikum jubelte den SängerInneren der Hauptpartien zu, angesichts einer schönen, wenn auch gänzlich auf Konsonanten verzichtenden Schlussphrase der Titelpartiegestalterin und empfing das Regieteam mit heftigen Buhrufen. Guths beabsichtigte Provokation ist also aufgegangen – aber zu welchem Zweck?“

Man könnte darauf antworten: Ist doch prima, dass sich die Leute aufregen. Dann tut sich wenigstens was im Saal. Die Oper braucht ADS-Kreative.

Sonst erstickt sie noch am eigenen Staub.

 

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Dann haste ihn, Deinen Ärger. Aber wie! Foto: BARBARA VOLKMER (www.barbara-ellen.com)

 

Zusammen mit den Studenten des Studienganges “Sound Studies” der Universität der Künste haben vor zwei Jahren Dorothea Schroeder und Anne Oppermann einen „Sound-Walk“ rund um die Geschichte der Deutschen Oper Berlin installiert.

War auch so ein willkommener Aufreger.

Vor allem ist es um die kleinen und großen Revolten in der Kulturszene gegangen. Faustregel: Wenn es rumort, ist Leben in der Bude.

Da wurde vergnüglich daran erinnert, wie prickelnd es war, als sich die aufgebrachten Premierenbesucher von Henzes „König Hirsch“ nicht mehr mit wilden Buhrufen begnügten – auf einmal skandierte der Saal ein „Wir wollen Lohengrin“. Geiler wilder Abend. Viele Diskussionen. Musica viva.

Das ist uns abhanden gekommen, befanden Dorothea Schroeder und Anne Oppermann nach monatelangem „Wühlen in den Archiven“. „Heute weiß man, wogegen man ist, aber man weiß nicht genau, wofür man ist”, sagte Oppermann nachdenklich.

Wenn man freilich gegen was sei, halte man heute mit seiner Meinung hinterm Berg. Buhrufer machen sich eher im Internet Luft als in Heiligen Hallen. Im Netz können sie anonym und ungestraft pöbeln – in der Oper geht das nicht.

“Uns ist die zivilisierte Empörung abhanden gekommen”, sagt Dorothea Schroeder. “Das kann nicht so weitergehen. Denn sonst wird unsere Demokratie immer mehr zur Farce.”

Also, fassen wir zusammen: Ein dreimal Hoch auf die Buh-Aktivisten.