BÖSER MANN

berlin, 7. mai 2015

Frau Rosenzweig erhält von ihrem Gatten ein Telegramm. “Eintreffe 17.30 Westbahnhof mitbringe Klapperschlange.” Die Gattin ist pünktlich beim Zug, der Mann steigt aus, Begrüßung. Die Frau mustert das Gepäck: “Wo ist die Klapperschlange?” “Ach was, Klapperschlange! Es waren noch zwei Worte frei – ich werd doch der Post nix schenken!”

Das ist ein jüdischer Witz. Hintersinnig. Selbstverliebt. Selbstironisch. Vertrackt. Und, alles in allem charmant.

Solche Witze kann Oliver Polak nicht.

Dabei ist er ein professioneller Humor-auf-die-Bühne-Bringer. Er nennt sich Stand-Up-Comedian. Er hat eine Figur, mit der man sich leicht ins Lächerliche ziehen lassen kann. Sein Gesicht ist das des zornigen Clowns. Eine Rampensau ist er, eine scham- und charmefreie Rampensau.

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Ein Hauch von Freundlichkeit. Her Polak könnte ja, wenn er denn wollte. FOTOS: BARBARA VOLKMER

Charme? Wozu denn, bitteschön? Oliver Polak wird dieser Tage auch bei den Berliner “XJAZZ”-Tagen auftreten – und er wird es in gewohnter Manier tun:

Bärbeißig. Grimmig. Übel mit der Welt und dem Leben im Clinch. Zankesfreudig und ansonsten ausgesprochen unfroh. Charmanter Humor? Nicht mit ihm.

“Ich mache meine Witze über politische Korrektheit, egal, wie die selbst ernannten Werte-Anwälte oder die Moral-Hygiene-Kontrolleure das finden. Sobald etwas unangenehm ist, wird es im Keim erstickt – das ist politische Korrektheit. Deshalb ist es auch die Frage, ob es in Deutschland überhaupt richtigen Stand-up gibt. Die deutsche Fernsehunterhaltung ist krank und anbiedernd. Den meisten Komikern hier ist es am wichtigsten, von den Leuten gemocht zu werden, statt sie zum Lachen zu bringen. Das ist mir zu wenig.”

Oliver Polak, der gern damit hausiert, er habe sogar seine Heimatstadt Papenburg und sein Elternhaus überlebt, hat im Berliner Bühnenleben eine Marktnische besetzt: die des Berufs-Misanthropen.

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Schluss mit lustig. Herr Polak wird grantig.

Er bedient sein Publikum und diejenigen, die es nicht wissen wollen, mit immer neuen Details aus den Polak’schen Schattenwelten. Genüsslich weidet er sich daran, dass er wegen seiner Ausgebranntheit in der Klapse gelandet sei – aus der freilich sei er abends entwichen, um auf der Bühne schale Witze nicht zu Ende zu bringen (die Medikamente, versteht Ihr, Leute?). Nach der Zeit in der Psychiatrischen hat er eine Art “Biographie” zu Papier gebracht. Wurde auch Zeit, dass er wieder mit einem neuen Buch unterwegs war. Warum nicht ‘ne satte Depression als Leitmotiv?

“Ich kam mir bei meiner Arbeit irgendwann vor wie auf Kriegsschauplätzen. Und nach den Auftritten fühlte ich mich wie eine Nutte, die gerade von 20 Freiern durchgenommen wurde. Am Ende liegst du da und kannst nicht mehr. Ich war zwar Bestsellerautor und hatte ausverkaufte Shows, aber es blieb Leere.”

Bei einem Treffen im Café Einstein – es war vor der Psycho-Episode – wirkte Polak in der Tat wie ausgehöhlt. Er roch nicht schön, hatte eine reduzierte Feinmotorik und eine gestörte Wahrnehmung der Umgebung. Er redete ungehalten über sich und sich, über sein wunschloses Unglück und über sich. Beim Fototermin zierte er sich in großer unwilliger Eitelkeit.

Zum Lachen gab es in den eineinhalb Stunden im Café gar nichts. Das hätte er denn auch übel genommen.

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Nicht mit mir! Herr Polak ist Herr Polak.

Unlängst traf man sich wieder. Es war bei der “Berlinale”, sein Reißer “Der jüdische Patient” war bereits in der Grabbelkiste gelandet – und Oliver Polak mühte sich schweratmig über eine Treppe mit rotem Teppich zu einer ausgesprochen hippen Party. Eine Frau sprach ihn fröhlich an. Ob er sich nicht erinnere?

Er blickte sie mit zu Schlitzen verengten Augen an und sah sehr ungut aus. “Kennen wir uns etwa?”, fragte er. “Eher wohl nicht.” Dann lächelte er böse, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Was für Probleme der Mann wohl hatte?

Egal. Wenn er welche hatte, war ihm das irgendwie egal.

Denn für solche Situationen, Stimmungen und Stinkstiefeleien hat sich der Stand Up Oliver Polak eine Philosophie gebastelt. Die heißt:

“Ich darf das, ich bin Jude.”