BILDUNG

„2017”*, Folge 80, 6. Dezember. “Durchs Land”/XXII.

 

Erlangen. Die Stadt hat 2017 das Finale von „jugend forscht“ ausgerichtet. Da gab es wieder einmal hunderte erstaunlicher junger Menschen zu bewundern, die sich einen feuchten Kehricht um die Winkelzüge der Scheinheiligen im Land scheren. Diese jungen  Forscher suchen nach kleinen und großen Wahrheiten…

…und sind dabei so unschuldig, wie ein Markus Söder es nicht einen klitzekleinen Moment in seinem Leben gewesen ist.

Wie wird ihre Zukunft aussehen? Die Zukunft zum Beispiel von:

        Sebastian Willenbrink (17) aus Gauting. „In meiner Arbeit wird das Travelling Politician Problem eingeführt. Es basiert auf dem Travelling Salesman Problem, welches die Aufgabe beschreibt, die kürzeste Rundtour eines Vertreters zu finden, wenn eine Liste mit allen Städten und deren Abständen zueinander gegeben ist. Das Travelling Politician Problem behandelt die Tour eines Politikers im Wahlkampf.“

        Sebastian Lew (15) aus Bad Füssing: „Ich habe einen 4D-Stuhl gebaut. Er kann sich mithilfe von Elektrozylindern nach vorne und zur Seite neigen kann. Dazu kann er sich mithilfe eines Elektromotors drehen. Diese Techniken sind alle selbst entwickelt worden. Darüber hinaus habe ich die Steuerelektronik auf einer Platine selbst entwickelt und diese zusammen mit einem Arduino-Microcontroller eingesetzt. Auch passende Steuersoftware ist von mir selbst mithilfe von C++ und in Teilen mit Java programmiert worden.“

        Sarah-Lusia (17) und Anja-Sophia (14) Reh aus Stadtbergen: „Das gefährlichste am Diabetes sind die Unterzuckerungen, die sogenannten Hypoglykämien. Das liegt daran, dass während den Unterzuckerungen oft Schwindelanfälle, Bewusstseins- und Konzentrationsstörungen auftreten, wodurch der Diabetiker selbst die Hypoglykämie nicht mehr bekämpfen kann. Unterzuckerungen können tödlich sein. Um eine Hypoglykämie vorzeitig zu erkennen, untersuchen wir, wie sich die Pupillengröße im Vergleich zum Blutzucker verändert. Dazu bauen wir eine spezielle Brille, mit welcher wir über einen längeren Zeitraum die Pupillengröße dokumentieren können.“

        Niklas Johne aus München (17): Ich habe einen Roboter gebaut, der einen Rubiks Cube löst. Sechs Schrittmotoren, die jeweils mechanisch fest mit einem der sechs Mittel-Cubies verbunden sind, drehen jeweils eine der Seiten des Würfels um 90° im Uhrzeigersinn, um 180° oder um 90° gegen den Uhrzeigersinn. Das selbst gestellte Ziel war, eine zufällig erstellte Würfel-Permutation innerhalb von zehn Sekunden lösen zu können, eventuell sogar den menschlichen Weltrekord zu brechen. Hierbei geht (momentan) fast alle Zeit für das Drehen des Würfels verloren, das Errechnen geht meist innerhalb einer Sekunde.“

        Meike Tütken (17) aus Augsburg: „Im Tennissport kann man Ballflugbahnen beobachten, die von dem erwarteten waagerechten Wurf stark abweichen. Auch das Absprungverhalten der Bälle wirkt für den Zuschauer oft willkürlich. Doch diese Effekte sind nicht unvorhersehbar, sondern begründen sich in der Kreiselbewegung des Balles. Ich habe exemplarisch Flugbahnen mit unterschiedlicher Rotation aufgenommen und mit einer Videoanalyse ausgewertet. Dadurch konnte ich die Wirkung der Magnuskraft auf die Flugbahn nachweisen. Auch den Effekt der Rotation auf das Absprungverhalten des Balles habe ich untersucht und konnte so einen direkten Zusammenhang zwischen dem Absprungwinkel und der Rotation zeigen.“

Sie alle haben was gewonnen. Sie sind die Zukunft, sagen die Politiker.

Ja, zefixnochmal, Meister Söder, was haben Sie eigentlich vorzuweisen? Außer dem geschissenen Einser-Abi und dem Seehofer, den Sie erledigt haben?

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Das wäre das Schlimmste für ihn gewesen: zuzugeben, dass er nichts gelernt hatte.

Sebastian Krohn war haltlos groß geworden. Seine Mutter hatte nichts gelesen, sie hatte genug damit zu tun, nicht gänzlich verrückt zu werden, im und nach dem Krieg.

Vom Vater waren ein halbes Dutzend Bücher übrig. „Die Rotmansteiner“ von Kuni Tremel-Eggert. „Deutschland ist schöner geworden“ von Dr. Robert Ley. Schenzingers „Anilin – Roman der deutschen Farben-Industrie“. Spoers „Feuerzangebowle“. Der „Hitlerjunge Quex“: „Mein Kampf“.

Die Bücher wanderten vom Nachtkastl des im Krieg „gebliebenen“ Vaters zu Sebastians Bett, 1945 im Mai waren sie zerlesen, zerfleddert, abgearbeitet, auswendig gekannt. Bevor die Amis kamen, schmiss die Mutter das Glump weg.

Das ADS-Hirn des Sebastian Krohn hatte ständig Unterzucker. Da kam nichts, was ihn zufriedenstellend beschäftigte. Es wurde auch nicht besser, als er die Post zu den Bauern tragen musste. Sollte er die Adressen und Absender auswendig lernen? Krohn senior, der saumäßig begabte junge Mann war unterfordert. Er las keine Zeitung, hatte kein Buch, war beim Sport, musste die Geschwister versorgen und der Mutter beim Nicht-gaga-Werden zur Seite stehen.

Eve war die Erste, die mit Sebastian redete. Sie gingen ins Kino und trafen sich in einem Café, in dem Zeitungen an langen Stäben eingerollt waren. Er war immer schon lang vor Eve da, las alle Zeitungen. Er las den Lokalteil und das Politische, mit Begeisterung den Sport und das Feuilleton, er las die Traueranzeigen und das Vermischte.

Eve brachte Kostbares aus der Stadtbücherei mit. Er wickelte alles sorgsam in ein trockenes Handtuch und trug es in der Sporttasche nach Hause.

Las, las, las. Bis die Augen zufielen. Die Lampe brannte oft noch, wenn er morgens aufwachte.

Im Verein war einer, der hatte im vorletzten Kriegsjahr das Abi geschafft. Er war kein großer Spieler, rückwärts übersetzen konnte er nicht und bei Raufereien fiel er als Erster auf den Arsch.

Aber er konnte Latein und Englisch, er war ein Studierter.

Sebastian Krohn fühlte sich so klein, wenn der Andere in der Nähe war.

Eve aber glaubte an ihn.

 

*“2017“ beginnt in der Kalenderwoche 38 des Jahres 2017 und endet am 31. Dezember. Thema: 105 Tage Deutschland. Unterwegs in der „Heimat“.