ARBEITS-LOS

 

berlin, 10. januar    

Hartz IV wird zehn Jahre alt. Ein willkommener Anlass, über die Menschen „ganz unten“ nachzudenken. So war es geplant, bei den Radiosendern, in den Fernsehanstalten, von Chefredakteuren und Armuts-Journalisten. Doch dann ist es anders gekommen: Steuersünder Uli Hoeneß gab sein Debüt als Knast-Freigänger, die ersten elektronisch einparkenden Autos wurden vorgestellt, in Paris erschossen Irre zwölf Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“, Sturm „Elon“ wütete in den Mittelgebirgen.

Da war Hartz IV kein Tagesgespräch mehr. Hartz IV läuft uns nicht weg.

Die „Süddeutsche“ hat dann aber doch im Wirtschaftsteil dem Thema ein größeres Forum gegeben. Sie zitiert den Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer, der seine Erkenntnisse mit den Worten „Arbeitslosigkeit zerstört“ auf den Punkt bringt. Die SZ weiter: „Menschen werden nach Effizienz und Nützlichkeit beurteilt, nicht aber in ihrer Gleichwertigkeit. Hartz IV in der jetzigen Form signalisiert: Hier ist jemand nicht mehr brauchbar. Darum beginnt mit dieser Form der Sozialhilfe die Zone der Verachtung.“

Da wurden die Leser denn doch aktiv. Professor Wolfgang Friedt aus Linden adaptiert das Heitmeyer’sche Vokabular: „Ist den Akteuren bewusst gewesen, dass hier eine der großartigsten Erfindungen der Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland – die ,Soziale Marktwirtschaft‘ – zerstört worden ist? Mit Hartz IV ist enorm viel politische Glaubwürdigkeit vernichtet worden.“

Dr. Rolf Kunstek aus Freiburg bezieht sich auf einen anderen Wissenschaftler, einen Experten in Sachen Armut: „Christoph Butterwegge hat vollkommen richtig erkannt, dass Arbeitslose durch Hartz IV in die Armut gestoßen werden. Die Zahl der Arbeitslosen stieg von rund 2,6 Millionen 1991 auf rund 4,1 Millionen 1999 und unter ihnen die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf rund 1,5 Millionen 1999. Das heißt, im Nachkriegsdeutschland gab es also zum ersten Mal eine massive strukturelle Arbeitslosigkeit.“

Die aufmerksamen Leser der „Süddeutschen“ malen ein düsteres Bild der Gesellschaft. Es ist, als ob sie ihre geistigen Anleihen beim heiteren Melancholiker George Grosz genommen hätten. Der ist im Berlin der „roaring twenties“ durch die Friedrichstraße und über den Ku’damm strawanzt und hat notiert:

„Es waren nicht nur junge Menschen, die da auf den Straßen hin und her marschierten. Viele waren dabei, die konnten die Niederlage nicht verwinden. Dann waren viele dabei, die konnten in die normale Arbeitswelt, die sie verlassen hatten, nicht zurück finden. Denn diese Welt war versunken. Es wimmelte von Arbeitslosen. Um sie zu beruhigen, gab man ihnen Schachspiel statt Arbeit.“

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Ohne Arbeit ist der Mensch nichts – erkannte Kurt Tucholsky und malochte, bis ihm Kraft und Hoffnung ausgingen. FOTOS UND SZ-AUSRISS: DETLEF VETTEN

 

Grosz hat da den Zustand des Landes nach dem Ersten Weltkrieg beschrieben. Und er hat – wie es scheint – ein paar zeitlose Zeilen zu Papier gebracht. Auch heute wimmelt es von ihnen, von den hoffnungsfreien Arbeitslosen.

Vor 125 Jahren kam der Schriftsteller Kurt Tucholsky im Berliner Wedding zur Welt. Er hat die Menschen gesehen, die ihre Arbeit verloren hatten. Trost hatte er nicht für sie:

„Armut ist eben gewiss kein hoher Glanz von innen, wie Vater Rilke das nannte, sondern eine einzige Sauerei.“

„Für die Arbeit ist der Mensch auf der Welt, für die ernste Arbeit, die wo den ganzen Mann ausfüllt. Ob sie einen Sinn hat, ob sie schadet oder nützt, ob sie Vergnügen macht (,Arbeet soll Vajniejen machen? Ihnen piekt er woll?‘) –: das ist alles ganz gleich. Es muß eine Arbeit sein. Und man muß morgens hingehen können. Sonst hat das Leben keinen Zweck.“

„Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, dass Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: Wer die Butter hat, wird frech.“

„Das Heiligste, das der Deutsche hat, ist die Arbeit.“

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Wo viele Hartz-IV-Biographieen enden: auf dem Abstellgleis.

 

Aufgewachsen ist Tucholsky in der Lübecker Straße 13. An diesem Morgen, als sich die Geburt zum 125.en Mal jährt, geht ein strammer Wind durch die Häuserflucht. Es nieselt, kein Hund ist auf der Straße. Nur in der Kneipe „Zur Post“ funzelt gelbliches Licht. Drei Menschen sitzen vor ihrem Bier, jeder für sich, jeder sehr einsam. Die Frau hat zuviel Rest-Makeup, die Wimperntusche ist verwischt. Die Männer, unrasiert, schweigen zornig.

Der Eine – er ist noch nicht sehr alt, aber Arbeit wird er wohl nie mehr haben – lässt den Kopf sinken. Die Bedienung – ihre Schicht hat gerade begonnen, sie sieht rosig und nett aus – tritt an den Mann heran, legt ihm eine Hand auf die Schulter, mit der anderen stellt sie ein Schnapsglas Escorial grün auf den Tisch. Er blickt auf. Erstaunt.

„Icke? Warum?“

Sie lächelt ihn an.

„Na, lass man! Weil Samstach is. Schönet Wochenende ooch!“

Der Mann greift mit zitternden Händen nach dem Glas und trinkt.

Ja, auch das kann Hartz IV sein. Ein bisschen Trost im Escorial.